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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn
Autoren: Oliver Hassencamp
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der Duty Free Shops, zur Sperre seines Flugsteigs, beziehungsweise Gate, wo ein weiteres uniformiertes Mannequin mit langen Nichtstuerkrallen die Bordkette bekommt und dazu lächelt, wie auf Münzeinwurf.
    Damit ist die äußere Abreise schon zur Hälfte vollzogen. Mister Dornberg ist zwar noch da, aber nicht mehr erreichbar. Sollte Renate noch kommen, sie konnte ihm nicht einmal zuwinken. In der Wartebox die erwartete Füllung: an die hundert männliche Passagiere, davon neunzig Raucher und zwei weibliche. Die andere ist Andrea.
    Nein!
    Nein, das ist sie nicht, nur eine erschreckende Ähnlichkeit. Er schaut in eine andere Richtung, um sich wieder zu beruhigen.
    »Lukas!«
    Er dreht sich um, obwohl er weiß, daß es gar nicht möglich ist, daß er sich verhört haben muß, daß nicht sein kann, was er sieht. Seine Wahrnehmung sperrt sie aus. Er will nicht wissen, wie sie hier reingekommen ist, weiß nur, daß sie hier nicht mehr rauskommt und er auch nicht. Vor London nicht. Was macht er mit ihr?
    Seine Verwirrung ist so gründlich, daß es ihm nicht einmal gelingt, ein Wort zu sagen. Ausgeschlafen strahlt sie ihn an: »Sei mir nicht böse, ich konnte nicht anders.« Selbstverständlich klingt das, anstrengungslos, wie auch die Eröffnung: »Seit Tagen hab’ ich für alle Flüge nach London gebucht.«
    Frischluft strömt ein, er atmet tief, noch immer sprachlos und mit unklaren Empfindungen. Sie werden umgeladen in den Zwischencontainer, anonymes Schaukeln mit Hand am Haltegriff, Grundstimmung umweltabweisend. Nur Passenger Müller-Passavent drückt sich an Passenger Dornberg. Ist sie Passenger? Ohne Gepäck, in dem Kleidchen von gestern? Sie hat ja für alle Flüge gebucht, seit Tagen.
    Unter Preßluftfauchen öffnen sich die Turen und entlassen zwei Sorten von Passagieren: die Eilenden, um gute Platze besorgt, und die Gemächlichen, denen es gleichgültig ist, wo sie sitzen. Andrea ist es nicht gleichgültig, da vorne strebt sie, an der Spitze der Eilenden, die von dem Luftmannequin an der Tür immer ein bißchen wie Kinder begrüßt werden. Es ist kühl, Bordmusik sprudelt unaufdringlich über den Platzen, ein Tanzorchester mit Streichern verunedelt; im Gang Gedränge, wechselnde Herrenparfüms, neue Zigaretten, Bordtaschen, das grüne Aer-Lingus-Kofferchen.
    »Lukas. Hier sind wir!«
    Wir sagt sie, und er freut sich, als habe er im Gedränge vergessen, sich zu ärgern. Andrea will ihm den Fensterplatz geben, doch er bleibt innen; quadratzentimeterweise machen sie sich’s bequem, die Lehne zwischen den Sitzen hat sie weggeklappt. Das schafft etwas Platz, den sie mit Nahe füllt; das Schloß des Sitzgurts auf ihrem Schoß erinnert an einen Keuschheitsgürtel. Seine Überraschung hat ihm die Sprache zurückgegeben:
    »Bist du wieder durchgebrannt? Die Polizei wird dich suchen.«
    »Ich bin rechtmäßig entlassen worden. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
    »Wissen es deine Eltern?«
    Sie beugt sich vor, um ihn ansehen zu können.
    »Begreife bitte endlich, daß ich kein kleines Kind bin! ich weiß, was ich will.«
    Das weiß er mittlerweile. Seine nächste Frage kommt ihm albern vor, er stellt sie trotzdem.
    »Hast du in London Freunde oder Verwandte?«
    »Wozu?«
    »Wo du hin kannst. Denn, das sag’ ich dir gleich: Bei mir kannst du nicht bleiben.«
    »Warum nicht? Du bist doch allein.«
    »Ich lasse mich nicht überrumpeln!«
    Heimlich atmet er auf, daß ihm der strenge Ton so gut gelungen ist. Er muß Distanz schaffen! Endlich. Sofort.
    »Für wann hast du den Rückflug gebucht?«
    »Gar nicht.«
    »Ich kann dich nicht mitnehmen, Andrea.«
    Es klingt nur noch väterlich; sie reagiert töchterlich:
    »Kann ich mir nicht mal anschauen, wie du lebst?«
    »Nein. Das kannst du nicht.«
    »Es interessiert mich aber.«
    »Ich nehme dich nicht mit.«
    »Du läßt mich stehen? Allein, im fremden Land?«
    »Ich habe dich nicht aufgefordert mitzukommen.«
    »Ich stör’ dich doch nicht. Dazu passen wir viel zu gut zusammen.«
    »Andrea, ich lebe nicht mit dir, wenn du das meinst. Ich habe weder Platz noch Lust dazu. Ich will meine Ruhe. Bitte, begreif das endlich!«
    Ihre Hand hat den Knopf gefunden. Lächelnd bewegt sie sich mit der Rückenlehne in Schräglage.
    »Sag bloß noch, du seist zu alt.«
    »Bin ich auch.«
    »Für mich nicht.«
    »Aber du bist mir zu jung!«
    Das war deutlich. Ausreichend? Sie antwortet nicht. Sie muß begreifen.
    »Ich kann dir nicht verbieten, nach England zu fliegen, aber in London
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