Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
weiter?«
    »Der Vertrauensonkel fliegt morgen früh.«
    »Schade«, sagte Alfredo. »Wir haben alle eine Schwäche für Sie. Einen Moment kommen Sie noch herein.«
    Genau das wollte Lukas nicht. Aber sein Widerstand hielt dem Willen Lillys nicht stand. Sie hakte die beiden unter und ging mit ihnen hinüber zu den Gästen. Noch bevor sie eintraten, drückte sie Lukas’ Arm, und er war überzeugt, daß sie gleichzeitig auch den Alfredos drückte. In ihrer perfekten Art. In dem von Gottvater persönlich bewohnten Raum, wo kürzlich maskierte Jugend Bürgerschreck gemimt hatte, wären ungefähr fünfzig Gäste versammelt. Zu den Möbeln passend. Weniger zu den Madonnen.
    »Das ist Herr Dornberg. Er kommt gerade aus London«, stellte Lilly vor, womit auch sein Pfeffer-und-Salz-Anzug entschuldigt war. Beim Anblick des Büfetts verflog seine Müdigkeit. Darauf würde er zurückkommen, wenn Lilly ihn überall präsentiert hatte. Er haßte dieses Unterbrechen von Gesprächen und nahm, was sich ihm bot, gleichzeitig auf drei Ebenen wahr: Er sah die Gäste, sah sich mit ihnen und noch einmal sich mit ihnen, damals. Denn sie wären in der Mehrzahl dieselben, pastellhafter, erinnerten sich aber, erkannten ihn oder heuchelten beides, redeten dasselbe, wobei sie nie versäumten, über ihre eigenen Scherzchen und Aufmerksamkeiten gebißenthüllend zu lachen. Alfredo nickte zu allem, brachte Lukas ein Glas und verstromte Herzlichkeit an ihn, als stehe für Mitternacht die Bekanntgabe seiner Verlobung mit der Tochter des Hauses bevor. Für Müller-Passavants gehörte er dazu, und da Müller-Passavants dazugehörten, gehörte er für alle dazu.
    Mitten im Gespräch trat ein Gast dazwischen und zweigte Alfredo ab. Jetzt hatte ihn Lilly. Neben ihm stehend drückte sie seine Hand.
    »Du warst sehr fair.«
    »Was blieb mir übrig? Du hast mich ja polizeilich vorführen lassen.«
    Sie entzog ihm ihre Hand und schob ihn zu einer Gruppe vor dem Kamin.
    »Das ist Herr Dornberg. Er kommt gerade aus London.«
    »So, aus London. Deshalb so spät?« sagte eine Dame.
    »Daniela!« Er gab ihr einen Kuß. »Das freut mich aber...«
    »Ich dachte, daß ich dich hier treffen würde. Allerdings etwas früher.«
    Er schüttelte Hände und sagte, er komme gar nicht aus London. Das sei ein Irrtum.
    Bei der Madonna mit Kind, wo der Waldbauernbub und die Filmkamera gestanden hatten, unterhielten sich zwei Herren, mit denen Lilly ihn unbedingt bekanntmachen wollte.
    »Das ist Herr Dornberg. Er kommt gerade...«
    »Von uns, wo er heute nachmittag Tee getrunken hat.«
    »So ist es.« Lukas wunderte sich, daß das erst heute nachmittag gewesen war. Fast hatte er Keiti beim Vornamen genannt.
    »Sind Sie allein?«
    »Die Damen haben ihren Bridgeabend.« Keiti grinste und zog die Schultern hoch. »Sie sehen, nicht alles hat sich geändert.«
    Lilly schob den späten Gast weiter.
    »Man konnte meinen, du warst überhaupt nicht weggewesen.«
    Am Büfett blieb er stehen.
    »Dafür bin ich jetzt weg.«
    Es mußte ein Kunstwerk gewesen sein, eine Allegorie Müller-Passavantschen Lebensstandards — und ebenso schwer verdaulich. noch die Reste auf Silber, Meißen und Damast erinnerten an aufgebrochene Schmuckschatullen, an einen Pergamonaltar der Kulinarik, Dämonenbeschwörung von Magen, Leber, Galle, Darm und was da sonst das Ende signalisieren mag. Platten mit kalorienstrotzenden Reliefs von Unersättlichkeit — zerstört glacierte Einlegearbeiten, in denen eine Gabel steckte, Salate wie vom Friseur toupiert.
    Mit schweren Löffeln begann Lukas die Kulturrevolution. Langgestreckt und braun, einem englischen Landsitz vergleichbar, dessen Herrschaftsteil abgebrannt ist, lag der Rehrücken inmitten des verwüsteten Parks. Unter stehengebliebenem Gebäck hervor rettete der späte Gast pastetenhafte Füllung auf seinen Teller, zweimal, dreimal, dazu fünf Brocken vom gespickten Ende, bettete sie in Cumberlandsauce und sah sich nach neuen Vernichtungsmöglichkeiten um.
    Dort ragten Fischstücke aus Zwiebelringen, dürr wie mancher Hals im Raum aus zu weit gewordenem Kragen. Er stach zu. In einer skalpierten Ananas mit danebenliegendem Toupet nisteten geeiste Trauben, während die ursprünglichen Bewohner im nahen Reissalat, zerstückelt und im Verein mit Paprika und Rosinen, Völkerverständigung auf indonesische Art mimen mußten. Er schnippte. Und noch ein halbes Dutzend-konservativer Schalentiere in Dill hinterher.
    Leer aber war die Thingstätte des kapitalistischen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher