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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn
Autoren: Oliver Hassencamp
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den startenden und landenden Maschinen.
    »Wie heißt die Straße?«
    Unter dem schwarzen Schnurrbart des Taxifahrers werden Goldzähne sichtbar, er nennt einen Namen; sein Akzent klingt mediterran, aber zuverlässig; er kommt aus der Türkei. »Und wie heißt die da?«
    Schwarz-rot-gold leuchtet es Lukas entgegen: Schnurrbart, Lippen und Backenzähne des Türken. Den Namen weiß er nicht.
    »Zu viele Straßen.«
    Immerhin hält er vor dem richtigen Hotel. Lukas merkt es erst auf den zweiten Blick. Alles ist anders geworden, nicht unbedingt schöner, wie er findet, aber eindeutig teurer. Drehtür aus Messing und Glas, überhaupt viel Messing. Auch an der Rezeptionsbarrikade aus dunklem Holz, lang und hoch wie ein deutscher Richtertisch. Sein Name setzt einen Zeigefinger in Bewegung zu elegantem Rutsch über eine Liste. Da steht er.
    »Jawohl. Vierhundertelf.«
    Alles geht fix, geschäftsmäßig, ein Lächeln inbegriffen. Lukas Dornberg füllt den Meldezettel aus. Daß er, der Fremde, hier geboren wurde, fällt nur ihm selber auf; der Rezeptionschef scheint Schweizer zu sein, er sagt Arrivée mit der Betonung auf dem A, schnippt mit den Fingern, eine dunkle Pagenhand greift nach dem grünen Koffer, die andere deutet die Richtung an, zu gewelltem Messingblech, das in die Wand zurückweicht. Der Lift hat einen großen Spiegel und damenfreundliches, indirektes Licht, sein Starttempo kitzelt die Magennerven, es riecht nach Rauch, der Page schweigt, schaut haarscharf an dem Gast vorbei. Wieder weicht das Messingblech, entläßt ins Halbdunkel zum langen schalltoten Anmarsch. Der Gast merkt sich den Weg; eine stattliche Erscheinung kommt vorbei mit meterdicker Parfümschleppe im Gefolge; endlich die Doppeltüren, es wird dunkler, dann heller, der Page bekommt eine englische Münze. Das Arrivée ist beendet. Allein bleibt der Gast zurück, in dem funktionellen Komfort, der seine Bleibe in der heimischen Fremde kennzeichnet. Es riecht ungewohnt bewohnt. Auf Vorhängen, Bettüberwurf und Sessel blühen die gleichen kochfesten Blumen; auch die drei Nelken in der Tischvase haben wohl schon mehrere Gäste erfreut. Ebenso der Apfel und die Orange auf dem Nachttisch. Aus dem Aschenbecher schimmert ein Rest Tabakteer. Lukas zieht seine Jacke aus, öffnet den Koffer und die Schranktür, ärgerlich zuckt die Nichtrauchernase, er packt aus. Erinnerungen stellen sich ein, bildhaft und als Stimmung:
    In seiner Heimatstadt im Hotel wohnen — das ist, als ob Freunde ein Fest feiern, und nur dich haben sie nicht eingeladen. Du bist da, aber nicht dabei. :
    Im Badezimmer fällt ihm die Mischbatterie am Waschbecken auf. Wasser in der gewünschten, selbst einstellbaren Temperatur aus einem Hahn, das ist in englischen Hotels noch immer eine Seltenheit. Und nicht nur in englischen Hotels. Hier kann er sich rasieren, den Bart einweichen, den Kopf unter den Hahn halten und nicht die Hand erst unters Kalte, dann unters Heiße, dann unters Kinn.
    Während er seine Reinlichkeitsutensilien ausbreitet, sieht er im. Spiegel sein Reisegesicht: unbeschwert, fern vom unvermeidlichen Tagesund Versorgungsärger. Unterwegs kommt er sich immer leichtsinniger vor als zu Hause. Nicht hergehören macht leicht. Seßhaftigkeit ist ein ungeheurer Ballast. Wenn die Schläfen grau werden, beginnt das Reisealter. Man nimmt Beschwernisse in Kauf und fühlt sich frischer dabei als im Trott noch so begabt inszenierter Annehmlichkeiten.
    Namen kehren ins Gedächtnis zurück und die Gesichter dazu. Er setzt sich in den Blütensessel mit der dicken, sich zu den Enden verjüngenden Lehne, die aussieht wie ein Frühstückshörnchen, und ruft die Zentrale an. Sie sollen ihm ein Telefonbuch raufschicken, ja, eines von der Stadt.
    So eine Rückkehr ist eine große Versuchung, sich jung zu fühlen, naiv zu erwarten, alles müßte noch sein, wie es gewesen war. Einige werden sich erinnern, einige ihm vielleicht Vorwürfe machen. Daß einer kopflos abhaut, als erste Reaktion auf eine unglücklich verlaufene Affäre, sozusagen Liebesflucht begeht, das, werden sie sagen, könnten sie verstehen. Aber daß einer wegbleibt, überhaupt nichts mehr hören läßt und dann plötzlich dasteht, als wäre nichts gewesen, das, werden sie sagen, sei dreist und treulos. Und das ist es auch.
    Der Gast von vierhundertelf klappt den ausgeräumten Koffer zu, öffnet das Fenster und schaut hinaus in das Geviert des Hofs. Gegenüber und links graugeregnete Mauern, Gardinen ähnlicher Tönung,
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