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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn
Autoren: Oliver Hassencamp
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trennen sich unsere Wege. Nimm das bitte zur Kenntnis! Und jetzt Schluß mit dem Thema.«
    Mit verschränkten Armen beugt sie sich bis zur Horizontalen vor und schaut zu ihm auf.
    »Bist du so dumm oder tust du nur so? Für uns gibt es keine getrennten Wege mehr. Ich liebe dich.«
    »Was du dir einredest, ist deine Sache.
    »Ich hab’ das noch zu niemand gesagt.«
    »Werd’ nicht sentimental.«
    »Du weißt ganz genau, wie es ist.«
    Sie schweigen; an der Luftdüse macht er sich zu schaffen, stellt sie ein auf seine Stirn.
    Was ist mit ihr? Weint sie?
    Sie weint. Er darf nicht hinsehen, wo sein Gewissen zu ihr übergelaufen ist. Er hat nichts gesehen, sieht anderes: wie die Kopfe der Passagiere sich drehen, wenn eines der Luftmannequins lässig über den »Laufsteg« kommt. Selbst das Gequake der Bordansage klingt schick, international. Still wird es, weil es laut wird, die Kollektion rollt an. Draußen an den federnden Tragflachen hängt das Triebwerk wie ein protziger Clip; einem Trommelwirbel vergleichbar laufen die Motoren bei gezogener Bremse auf Vollast. Dann der Clou, der große Auftritt: Das Modell Silverjet fegt über den Steg, scheint zu schweben, bis es sich steil in den langst Konfektion gewordenen Himmel erhebt. Zurück bleibt Vergangenheit als Spielzeugschachtel, für Lukas jetzt doppelte Vergangenheit — sein Plusquamperfekt. Andrea schaut hinaus, hinunter, sitzt abgewandt, hat ihre Rückenlehne nicht senkrecht gestellt während des Starts. Gong, Sitzgurtschlosser klicken, Zigaretten werden angesteckt, bei den hinteren Platzen kommen die ersten Pinkler vorbei. Sie bleibt unbeweglich, kehrt ihm weiter den Rücken zu. Ihr Haar ist hinten zusammengesteckt, der Hals sichtbar. Das mag er und kann immer noch nicht ganz begreifen, daß sie neben ihm sitzt.
    Ihren Paß muß sie in der Handtasche haben. Vielleicht auch einen Koffer am Flugplatz? So was kann man nur, wenn man jung ist, unabhängig, mutig.
    Für Andrea gibt es keine Probleme; ihm wird sie noch einige zu bewältigen geben. Gern würde er sich mit ihr unterhalten, bis sich die Wege trennen. Damit sie sich aber trennen, darf er seinen Worten nicht die Wirkung nehmen und schweigt wie ein Jüngling.
    Sie ist zu jung.
    In spätestens einer Woche wäre der Krach da, weil er sich nicht stören ließe in seinem Rhythmus, in seiner Ordnung, von zu jungen Wünschen. Das ist ja der Reiz in seinem Alter, daß man vorher schon weiß und nicht erst vollziehen muß. Er kann allein leben, auch wenn Daniela das Gegenteil behauptet. Umgekehrt verhalt es sich genauso. Pamela hat seinerzeit auch behauptet, er müsse schnellstens wieder heiraten. Und wie viele behagliche Jahre sind inzwischen vergangen! Es ist nicht wichtig, was andere sagen, mögen sie gelegentlich auch recht haben, wenn man selber vor dem blinden Spiegel steht.
    Aber das ist nicht sein Problem; sein Problem sitzt neben ihm und zuckt zurück, als er väterlich ihre Hand berührt. Sie weint nicht mehr, schaut hinaus und merkt nicht, daß sie immer noch dasselbe sieht, daß die Maschine schräg liegt, einen großen Bogen fliegt um das Plusquamperfekt dort unten. Sie müßten langst weiter sein und hoher und dem Stand der Sonne nach in die entgegengesetzte Richtung fliegen. Gewiß, er kann sich irren, kennt nicht die Bestimmungen, nicht die Luftstraßen, Wind- und Wetterverhältnisse. Vielleicht muß der Pilot dem Feind Nummer eins der Zivilluftfahrt, den Friedensgaranten, ausweichen, die irgendwo siebenstellige Ernstfallspielchen spielen? In dem Fall kann der Bogen, den sie machen, gar nicht groß genug sein.
    Ein hohles Geräusch über seinem Kopf: die Lautsprecheranlage wurde eingeschaltet. Lapidar und in drei Sprachen erfolgt die Durchsage: Eine Kleinigkeit soll nicht optimal in Ordnung sein, zu wenig Luft in einem der vielen Reifen des Fahrgestells, genau ist das nicht zu erfahren, weil wirklich kein Grund zur Besorgnis besteht. Und noch etwas: Wenn man jetzt nicht nach London fliegt, sondern am Startplatz wieder landen wird, so liegt das allein an den übervorsichtigen Bestimmungen, derentwegen man außerdem noch eine Weile herumkurven muß, um Treibstoff zu verbrauchen, kurzum wirklich kein Grund zur Besorgnis.
    Routinierte Fluggäste lockern bereits die Krawatten und übersetzen den Text aus dem Harmlosen in die Erfahrung: Der sogenannte Reifen wird wahrscheinlich das Fahrwerk sein, das klemmt. Ein besonders Kundiger hat deutlich das Hereinklappen rechts gehört, dieses dumpfe Rumpeln nach
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