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Erinnerungen der Nacht

Erinnerungen der Nacht

Titel: Erinnerungen der Nacht
Autoren: MAGGIE SHAYNE
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man aus einer Kaktusblüte eine Rose machen, dachte er. Daran, dass auch er Nutznießer des Ergebnisses sein würde, wollte er nicht denken. Denn nichts konnte ihn dazu bringen, sich nach der Blüte der Rose ebenso sehr zu verzehren wie nach der stacheliger Gewächse.
    Nein, dachte er, die Lektion wäre einzig und allein für sie, damit sie von Zeit zu Zeit etwas mehr Vorsicht walten ließ. Er mochte Rhiannon manchmal fast gegen seinen Willen. Wenn sie ihres Naturells wegen zu Schaden kam – so wie er einst –, wäre das schlimm für ihn.
    Er runzelte die Stirn und fragte sich kurz, wie lange ihr Aufenthalt dauern würde. Sie hatte es ihm nicht gesagt. Schon gewohnheitsmäßig tauchte sie in seinem Leben auf und verschwand wieder. Sie blieb nie lange genug, dass sie mehr als ein Strohfeuer entfachte und mit ihrem zügellosen Charakter seine Sinne – und seine Vernunft – auf eine harte Probe stellte, und dann verschwand sie wieder. Sie war ein Wüstenorkan … ein Sandsturm vom Nil.
    „Roland, Darling, du ignorierst mich.“
    Er hatte alles andere getan, hätte es jedoch nie zugegeben. Stattdessen sah er aus den Augenwinkeln auf sie hinab und nickte heftig. „Exakt.“
    Sie seufzte ergeben. „Ich nehme an, wenn du dich weigerst, über unsere Beziehung zu reden …“
    „Wir haben keine Beziehung, Rhiannon.“
    „Dann unterhalten wir uns eben nur über den Jungen.“ Sie fuhr einfach fort, als wäre sie nie unterbrochen worden. Auch das gehörte zu ihren unerträglichen Angewohnheiten. Im Gespräch mit Rhiannon sagte man entweder das, was sie hören wollte, oder man wurde ignoriert. Unerträglich!
    „Was ist mit dem Jungen?“
    „Wo ist er, Roland? Ist er in Sicherheit?“
    Er spürte, wie er sich ein wenig entspannte, da sie jetzt über ein unverfängliches Thema sprachen. „Anfangs lebten er und seine Mutter im Schloss.“
    „In dieser Ruine?“
    Roland erstarrte. „Im Ostflügel, Rhiannon. Der ist bewohnbar.“
    „Vielleicht für einen Mönch. Weiter.“
    Er zog ein finsteres Gesicht, sprach jedoch weiter. Er verspürte keinen Wunsch, sich auf verbale Scharmützel einzulassen. „Dann wurde Kathy krank.“
    „Kein Wunder, in der zugigen Bude.“
    Diesmal überhörte Roland ihren Spott einfach. „Es war Krebs, Rhiannon. Sie starb vor acht Monaten.“
    Rhiannon fasste sich mit der Hand an den Hals und atmete erschrocken ein. „Dann ist der Junge allein?“
    „Nicht ganz. Er hat mich und natürlich Frederick.“
    „Frederick?“ Sie legte den Kopf ein wenig schief. „Dieser Bär von einem Mann, den du schlafend auf den Straßen New Yorks gefunden hast? Roland, kann man ihm den Jungen anvertrauen?“
    Roland nickte ohne Vorbehalte. Frederick war nicht gerade der Hellste, hatte aber ein Herz aus Gold. Und er vergötterte Jamey. „Ja. Würde ich ihm nicht vertrauen, wäre er nicht in meinem Haus. Jamey braucht jemanden, der in den Stunden zwischen Schule und Sonnenuntergang auf ihn aufpasst.“
    Sie schlenderte weiter an seiner Seite und strich sich mit den langen Fingern über die Stirn wie eine Zigeunerwahrsagerin vor einer Sitzung. „Mmm, du hast ihn zweifellos in einer Privatschule untergebracht.“
    „Er war dagegen. Meinte, er wäre kein Snob und wollte auch keiner werden.“ Roland schüttelte den Kopf. „Er besitzt enorme Willenskraft. Jedenfalls ist er dort als James O’Brien untergebracht. Das war das Beste, was mir zu Jamey Bryant eingefallen ist.“
    „Und wo steckt dein Junge jetzt? Schläft er ruhig und friedlich in seinem Bett in deinem Château?“
    „Er hatte heute Abend ein Fußballspiel. Müsste jeden Moment eintreffen.“ Er sah nach vorn zu der hohen Mauer aus grauem Stein, die Schloss Courtemanche umgab, und dem Tor in der Mitte.
    „Du hast Frederick auch ein Auto gegeben? Kann er denn fahren?“
    Er folgte stirnrunzelnd der Richtung ihres Blicks. „Verdammt noch mal.“ Er ergriff Rhiannons Arm und zog sie in die Deckung eines Gebüschs am Rand der schmalen Straße.
    „Was machst du denn?“
    „Pst, Rhiannon.“ Roland bewegte sich langsam, näherte sich lautlos dem Tor und betrachtete den Cadillac, der unmittelbar davorstand. „Dieses Auto dürfte nicht hier sein.“
    „Es ist nicht …“ Sie biss sich auf die Lippen und sah mit zusammengekniffenen Augen zu dem dunklen Fahrzeug. „Es sitzt ein Mann am Steuer.“
    Roland nickte. Er tastete bereits den Geist des Eindringlings ab, doch dieser blieb ihm verschlossen. In die meisten Menschen konnte man so leicht
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