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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia
Autoren: Thilo Corzilius
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war.
    Einfach Jasper, ohne Nachnamen.
    Selbstverständlich hatte er sich
einen Nachnamen zugelegt, um Dokumente mit irgendetwas unterzeichnen zu können
und vor Ämtern nicht völlig ohne Identität dazustehen.
    Doch seine Existenz stand gerade
auf dem Prüfstand, wieso also nicht auch sein Name?
    Langsam begann er tiefer zu atmen.
Immer noch nicht auf sein Nasenbluten achtend, fasste er sich ein Herz und
schritt in den Raum hinein, in dem sein Schaffenswerk zersprungen dalag.
    Scherben, abertausende Scherben.
Große, kleine, lange, schmale und winzige. Sie füllten den Raum völlig aus. An
einigen Stellen bloß knöcheltief, doch es gab auch kleinere Haufen, die Jasper
bis zu den Knien reichten.
    Langsam watete er durch das Meer
der Zerstörung, spürte, wie die Spitzen der Glasstücke an ihm kratzten und
zogen. Doch wer sich über einen so langen Zeitraum hinweg mit ihnen
auseinandergesetzt und sich mit ihnen angefreundet hatte, dem taten auch die
schärfsten Scherben kein Leid mehr an.
    Nur die Tatsache, dass sie da waren
– und dass es so außergewöhnlich viele von ihnen gab, schmerzte ihn. Alles, was
er geschaffen, aber noch nicht verkauft hatte, war zerstört.
    Doch Jasper wäre nicht Jasper
gewesen, wenn er im Wahn schreiend die Kontrolle über sich verloren hätte. Das,
was er ein Leben lang geschaffen hatte, war mächtig. Und viele Facetten dieser
Macht kannten nur die allerwenigsten. Denn im selben Maße, wie sich sein
Schaffen als nützlich erweisen konnte, konnte es ebenso zum alles vernichtenden
Fluch werden.
    Kalte Wut stieg in ihm auf. Hass,
destilliert, kontrolliert und nur auf ein Ziel ausgerichtet: Rache.
    Er überlegte, was er vorzuweisen
hatte. Drei gut gefüllte Konten bei äußerst ehrbaren Kreditinstituten fielen
ihm ein, darüber hinaus eine Reihe exzellenter Kontakte bei seinen
Versicherungen und Rohstoffhändlern. Auch wenn sich sein Schaden wohl in keiner
Weise durch finanzielle Aufwendungen ersetzen ließe, so bot ihm Geld doch
immerhin eine Grundlage, von der aus er zu operieren imstande war.
    Wer auch immer für die vollkommene
Zerstörung verantwortlich war: Wenn Jasper ihn fand, würde er sich eine Hölle
nach Hieronymus Bosch als wohlige Zufluchtstätte der Heilung wünschen.
    Doch das Allererste, was Jasper
brauchte, war eine Basis, von der aus er seinen Rachefeldzug starten konnte.
Noch wusste er nicht, dass sich die Gelegenheit dazu in wenigen Tagen bieten
würde, wenn zwei Menschen in seiner Tür erscheinen würden.

    Leben ist Lernen.
    Wer vergisst, stetig vom Leben zu lernen, verlernt zu
leben.
    Laras Eifer darin, sich die Fähig- und Fertigkeiten
des Schlüsselmachens anzueignen, war beinahe
beängstigend groß. Selbst am Wochenende war es immerzu wahrscheinlich,
Lara im Schlüsselladen in der Victoria Street anzutreffen und an irgendetwas
herumwerkeln zu sehen.
    Sehr bald schon, nachdem Baltasar Quibbes gestorben
war und Tom ihr angeboten hatte, ihre Ausbildung weiter in die Hand zu nehmen,
hatte sich etwas verändert. Tom hatte keine Lektionen zur Hand, die er Lara
aufzählte, keinen Lehrplan. Da war nichts, das er vor ihr zurückhielt in dem
Glauben, sie sei noch nicht so weit. Im Gegenteil. Er ließ Lara tun, was sie
wollte.
    Ob dies nun Toms
pädagogischem Geschick oder eher seiner eigenen Einstellung gegenüber
Bevormundungen entsprang, war nicht so ganz klar. Tom
überließ es ganz einfach Lara selbst, sich so schnell oder langsam zu
entwickeln, wie es ihr entsprach. Und meistens war das eben sehr schnell.
    Nach ihren gemeinsamen
Erlebnissen schien etwas von Tom abgefallen zu sein. Etwas, das den weltoffenen
Teil seiner Persönlichkeit jahrelang hinter Schloss und Riegel versteckt
gehalten hatte. Er beantwortete Lara geduldig alle Fragen, ließ oft auch sogar
seine eigene Arbeit stehen, um mit seinem Lehrling stundenlang über
Möglichkeiten – und auch Unmöglichkeiten – des Schlüsselmachens zu diskutieren.
    Laras Sinn für magische
Schlüssel war unbeschreiblich und ihr Talent nahezu unendlich groß. Doch sagte
ihr Tom dies nicht. Wozu auch? Sie würde es früher oder später selbst
herausfinden. Zu viele Vorschusslorbeeren waren nicht gesund für die Seele.
    Was allerdings die Mechanik anging, war Lara zwar in
der Lage, die rudimentären Dinge zu begreifen, nicht jedoch, solche Wunder zu
vollbringen, wie Tom es konnte.
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