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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia
Autoren: Thilo Corzilius
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es
fertiggebracht, Lara die Unannehmlichkeiten der letzten Tage nahezu vergessen
zu lassen. Natürlich hatte sie von den beiden bereits gehört, jedoch hatte sie
den Kopf zu tief in ihrer eigenen Arbeit vergraben gehabt. Schlüsselmachen war
für sie zu einer Art Lebenseinstellung geworden, auch wenn es zugegebenermaßen
einfach war, die Welt vor lauter Arbeit zu vergessen.
    Doch das Leben spielte in Ravinia – drüben, hinter den
Schleiern des verregneten Sommers in England, lag der Tod.
    So ließ Lara McLane das Leben auf sich regnen, einer
Vorahnung gleich, dass es galt, die letzten Momente von Unbeschwertheit zu
inhalieren. Was sie nicht wusste, war, dass hinter dem Leben ein Abgrund
lauerte. Bald, sehr bald schon würde Lara sich sehr viel ernsthafter mit der
Thematik Leben und Sterben auseinandersetzen müssen als geplant – dass sie
damit eines der größten Rätsel um die Stadt Ravinia lösen würde, war eine
Nebensache.
    Im Hier und Jetzt hingegen hatte derweil der weibliche
Harlekin das bunte Flickenhemd gegen ein eng anliegendes Ledertop getauscht und
ließ sich nun Fackeln reichen. Erst zwei, dann drei, mit denen die vollkommen
durchtrainierte Frau jonglierte.
    Â»Untersteht
euch, das hier jemals zu Hause nachzumachen!«, warnte ihr Bruder lachend die
Schar der staunenden Kinder, während er immer mehr brennende Fackeln anzündete
und weiterreichte. Jede einzelne wurde umgehend und mit fließenden Bewegungen
in das Kunststück eingebaut, bis schließlich ein Bogen aus zehn oder zwölf
Fackeln über dem schwarz maskierten Haupt der Akrobatin wirbelte.
    Während die Menge dem Kunststück noch die Gefälligkeit
eines tosenden Applauses zollte, fing die Frau die Fackeln auf, fünf in jeder
Hand. Sie spreizte sie, als hielte sie einen brennenden Fächer in den Händen,
und begann, sie um ihren Körper kreisen zu lassen, was den Anschein erweckte,
als wäre sie in einer flammenden Hülle gefangen.
    Die Fackeln wichen bald brennenden Schleudern. Bolas,
deren entzündete Enden sie wie Schlangenköpfe um sich kreisen ließ. Die Augen
der gebannten Zuschauer sahen flitzende Schlieren
durch die Luft sausen. Plötzlich riss die Akrobatin die Arme in die Luft und
spie einen immensen Feuerball hinauf in den leicht bewölkten Nachmittagshimmel
von Ravinia.
    Alles klatschte Beifall, pfiff und jubelte, selbst
Dexter auf Laras Schulter krähte vergnügt.
    Und auch Lara selbst fieberte nach Kräften mit der
Darbietung mit.
    Doch dann – während die Harlekin-Geschwister
umständlich und unter Aufbietung all ihres akrobatischen Könnens ein Hochseil
spannten – geschah etwas, das Lara mit einem Mal wieder auf den Boden der
düsteren Tatsachen zurückholte.
    Eine Hand griff nach Lee.
    Aber es war nicht Laras
Hand – und obwohl Lara sich gerne gegen diese banale Eingeschnapptheit gewehrt
hätte, lag es doch in ihrer Natur, sich in ihrem Innern gehen zu lassen.
    Es war die Hand von Liza, dem Efeumädchen – Lees
Freundin.
    Und Lara mochte Liza nicht. Nicht bei ihrer ersten
Begegnung im botanischen Garten, nicht in den Monaten danach und seitdem sie
mit Lee zusammen war schon gar nicht. Liza war eingebildet, arrogant und
herrisch. Und Lee – der verliebte Idiot – ließ sich darauf ein.
    Das Efeumädchen zog den Kopf des jungen Amerikaners
nach unten, um ihn zu küssen. Auf eine sehr demonstrative Art, wie Lara befand,
bevor sie sich zwang wegzusehen.
    Â»Hallo Lara«, grüßte Liza sie schließlich, nachdem sie
(sicherlich eine lange Zeit später) fertig war.
    Â»Hi«, antwortete Lara bloß, während um sie herum die
Menge plötzlich wieder in heftigen Beifall ausbrach. Einen Augenblick lang
schien es Lara so, als applaudierten sie Lizas Erscheinen. Das zugegebenermaßen
bildhübsche Mädchen in den Wildlederkleidern, das mit Rankenpflanzen sprechen
konnte, rief in Lara einen tiefen Widerwillen hervor.
    Nur mit Mühe konnte Lara sich beherrschen, nicht das
Spielfeld zu räumen.
    Mit jeder hätte Lee Crooks, ihr bester Freund, sich
einlassen können. Warum gerade mit ihr?

    Â»Geht’s dir wirklich gut?«, wollte Dexter
zum wiederholten Male wissen, als Lara sich nach der Vorstellung entschuldigte
und einen ratlosen Lee auf dem Marktplatz stehen ließ.
    Â»Ich brauche Ruhe«, brummte Lara im Gehen.
    Â»Du bist also nicht scharf auf eines meiner
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