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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia
Autoren: Thilo Corzilius
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Eine Uhr anzufertigen, die die Zeit anhielt,
war wohl weit jenseits dessen, was sie jemals zustande bringen würde. Das war
eine Tatsache, die sie ärgerte und anspornte zugleich. Ja, sie hatte
eingesehen, dass sie es in puncto Mechaniken wohl nie so weit bringen würde wie
Tom. Aber was das Schlüsselmachen anging, so kannte sie nur ein Ziel: die beste
Schlüsselmacherin von allen zu werden.
    Doch obwohl sie in vielerlei Hinsicht gleichauf mit
Tom zu liegen schien, hatte sie es noch nicht geschafft ihn einzuholen.
    Tom ahnte, woran es lag, und wusste gleichzeitig, dass
es sich dabei wohl tatsächlich um eine Art Lektion handelte, jedoch eine, bei
der er seiner Schülerin nicht helfen konnte. Es blieben scheinbar doch einige
Dinge, die sich nicht durch pures Wissen weitergeben ließen, sondern die es am
eigenen Leib zu erfahren galt. So sehr Tom dies auch missfiel, sah er letztlich
doch ein, dass auch er einst diese Hürde hatte nehmen müssen.
    Laras Fleiß war in jedem Fall nicht zu bändigen. Einem
ohnmächtigen Zorn gleich, arbeitete sie oft bis zur mehrmaligen Ermahnung, es
doch für den Moment gut sein zu lassen.
    Und auch wenn sie keine Werkzeuge in der Hand hatte,
las und dachte und philosophierte sie.
    Sie erlernte die normalen, aber auch die
absonderlichsten Techniken, um sowohl Metalle als auch unzählige andere
Werkstoffe zu verarbeiten. Viel handwerkliches und künstlerisches Geschick war
erforderlich, um all die Feinarbeiten zu verrichten.
    Darüber hinaus aber waren vor allem Philosophie und
Projektion die wichtigsten Bestandteile der magischen Schlüsselmacherei – eine
Dimension des Ganzen, die Lara vielleicht ein wenig unterschätzt hatte, als sie
Balthasars Angebot angenommen hatte, bei ihm in die Lehre zu gehen. Denn dass
die wichtigste Zutat für einen magischen Schlüssel die eigene Phantasie war,
war eine unumstößliche Tatsache. Und es war bemerkenswert, zu was die Phantasie
imstande war, wenn man sie nur mit genug Wissen anfütterte. Das Wissen darum,
wie die Dinge funktionierten, oder wie sie funktionieren könnten, entfachte ein
Feuer im Geist des Denkenden. Kannte man die phantastischen Details der Welt,
konnte man sie zerlegen, immer wieder neu zusammenfügen, fehlende Teile selbst
erdenken. Der eigene Verstand konnte zu einem Monument werden.
    Wie man Blei schmolz, bog, es in neue Formen brachte,
war eine Sache. Zu wissen, dass man versucht hatte, aus Blei Gold zu machen,
was misslang, bis man stattdessen Projektile für Waffen daraus fertigte – das
war eine neue Dimension. Und die dritte war, Blei mit etwas zu assoziieren. Für
Lara, aber auch für viele weitere Schlüsselmacher, war Blei das Metall der
Zerstörung. Es war schwer, immens giftig und wurde oft für niedere Zwecke
gebraucht.
    Platin war das edelste unter den elementaren Metallen.
Gold das schönste, dicht gefolgt von seiner Prinzessin, dem Silber. Zinn und
Kupfer legierte man zu Bronze, nach der eine ganze Epoche benannt worden war.
Magnesium wurde meistens verbrannt, ob in
Unterwasserfackeln oder als Blitzlicht in der Fotografie. In Lampen
aller Art verwendete man Wolfram. Eisen
begründete und beherrschte die Architektur der letzen beiden Jahrhunderte.
Geschützt vor Korrosion wurde es von Zink – so es denn nicht ohnehin zu
Stahl verarbeitet wurde.
    Diese Dinge waren von immenser Wichtigkeit.
    Doch noch weitaus schwerer war es, die verborgenen
Dinge in Metallen und in Schlüsseln sichtbar zu machen. Wieso führte ein
Schlüssel aus Blech auf einen Schrottplatz? Und warum taten es nicht alle
Blechschlüssel? Als was hatten die Menschen das Stück Metall betrachtet, das zu
einem Schlüssel verarbeitet wurde? Und was sah der Schlüsselmacher darin? Was
musste man mit einem derartigen Blechschlüssel tun, damit er zum Beispiel nach
Prag führte? Es reichte sicherlich nicht aus, beim Formen des Schlüsselbartes
nur an Prag zu denken. Es mussten weitere Werkstoffe her. Vielleicht ein wenig
Gold, denn schließlich war Prag ja die Goldene Stadt. Es half, kunstvoll das
Stadtwappen in die Reide zu gravieren oder einen Ausspruch von Kafka.
    Es waren eine Menge Faktoren, die letztlich dazu
führten, dass ein liebevoll gefertigter Schlüssel eines magischen Schlüsselmachers
seine Wirkung erzielte. Handelte es sich um schlampige Arbeit, wurde womöglich
eine falsche Tür geöffnet. So erklärte Lara sich auch, dass
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