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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia
Autoren: Thilo Corzilius
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unter
vorgehaltener Hand als größtes Talent der Gilde.
    Eusebius hingegen hatte Lara noch einige Male auf den
Straßen von Ravinia getroffen, nachdem er sie offiziell bei den Mechanikern im
Turm begrüßt hatte. Bei diesen Gelegenheiten erkundigte Eusebius sich immer
nach Laras Befinden. Außerdem war da noch die Befragung vor dem Stadtrat zum
Fall Roland Winter gewesen.
    Â»Also gut«, Lara stand auf. »Soll ich in den Uhrenturm
kommen?«
    Â»Krah, erfasst.«
    Ohne Umschweife griff Lara nach ihrem Schlüsselbund
und hängte das Geschlossen -Schild ins Fenster. Dann
verriegelte sie die Ladentür, griff zu ihrem Ravinia-Schlüssel und ging ins
Hinterzimmer.
    Â»Willst du hierbleiben?«, rief sie dem Raben zu, der
vor sich hin geträumt hatte und sich nun sputete, mit ihr mitzukommen. Nicht
auszumalen, was passieren würde, träfe Tom ihn alleine im Laden an. Womöglich
würde er ihn mit irgendwelchen Schlüsseln wer weiß wohin sperren.

    Von der Gobelingasse war es nicht weit bis
zum Marktplatz der düstergoldenen Stadt, der schon seit vielen Jahren von zwei
Türmen dominiert wurde: dem der Kathedrale St. Anna Rosa am Fluss und natürlich
dem Uhrenturm, der der Gilde der Mechaniker als Zunfthaus diente. Er war ein beeindruckendes
Gebäude. Von der Gestalt ein wenig wie der Big Ben anmutend, ragte er zig Meter
in die Höhe und verkündete jedem
Interessierten mit je einem großen Ziffernblatt auf jeder der vier Seiten die
Uhrzeit – in Europa, in Amerika, in Nahost und in Fernost. Ein goldener
Blechabdruck des jeweiligen Erdteils prangte jeweils unübersehbar
darunter. Da sich die Tageszeit in Ravinia
wenigstens so ungefähr an derjenigen in Europa orientierte, war natürlich auch
dieses Ziffernblatt für die meisten Bewohner Ravinias von größerer Bedeutung.
Es zeigte in Richtung Marktplatz, hin zur Kathedrale, die – natürlich – mit
einer eigenen Turmuhr aufwartete. Diese Turmuhr war das Werk von Laras Mutter
Layla gewesen.
    Jedoch war St. Anna Rosa
irgendwie nur eine gotisch angehauchte Kathedrale. Der
Uhrenturm hingegen war ein Konstrukt aus purer Mechanik. Die Wände bestanden
aus Tausenden und Abertausenden von Zahnrädern, Speichen, Streben, Achsen und
Gelenken, die auf eigentümliche Weise alle miteinander funktionierten und agierten.
Ein wenig musste Lara dabei stets an die mechanischen Männer denken, die einst
Ruben Goldstein in Tschechien auf sie gehetzt hatte.
    Dexter setzte sich auf ihre Schulter, während Lara
sich der Außenwand des Turmes näherte. Zwar gab es auch ein offizielles Tor,
aber viel beeindruckender war die Art und Weise, wie der Turm einem Mechaniker
den Eintrittswunsch quasi von den Fingern ablas.
    Lara streckte eine Hand aus und legte sie flach auf
eine massive Stahlschuppe, die aus der Wand ragte. Der Turm erkannte sie und
augenblicklich begann es in der Wand leise zu klicken und zu klacken. Es wurde
lauter, ratterte und flüsterte und schließlich faltete sich ein Stück der Wand
in sich zusammen, bis ein unförmiger Eingang vor Lara lag.
    Lara lächelte. Ja, diese Magie berührte sie wirklich.
Jeden Tag und jede Stunde. Auch wenn sie sich vielleicht gerade nicht so
wohlfühlte, schlug sie das Unfassbare auch nach über zwei Jahren noch in seinen
Bann.
    Sie trat ein, und hinter ihr schloss sich das Tor
wieder ratternd, als wäre dort nie etwas gewesen, außer der scheinbar so wirren
Anordnung von mechanischen Schuppen. Die Empfangshalle des Turms nahm das
gesamte unterste Stockwerk ein. Es war angenehm kühl, denn die dicken Wände
hielten den Sommer draußen. Lara umrundete den Brunnen in der Mitte der Halle
und trat auf den Schreibtisch zu, hinter dem Victoria saß. Sekretärin,
Empfangsdame und irgendwie Mädchen für alles bei den Mechanikern. Sie strich
geistesabwesend über den Rand ihrer eckigen Brille, während sie Zahlen in Tabellen
schrieb.
    Â»Du willst zu Eusebius?«, fragte sie Lara.
    Lara zögerte.
    Â»Geht in Ordnung«, fuhr Victoria fort, ohne Lara auch
nur eines Blickes zu würdigen, geschweige denn, eine Antwort abzuwarten. Sie
war es, die Tom nicht – oder besser gesagt wohl nicht mehr – leiden konnte.
Toms Schülerin war dummerweise davon ebenso betroffen. Dass Tom von jemandem,
der derart nachtragend war, nichts wollte, konnte Lara sich lebhaft vorstellen.
Auf der anderen Seite konnte Lara
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