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Der Tag der Messer: Roman (German Edition)

Der Tag der Messer: Roman (German Edition)

Titel: Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
Autoren: Alexander Lohmann
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P ROLOG
    Hinrichtungen fanden stets im Abenddämmer statt.
    Das Schafott stand auf dem Drauzwinkel, dem kleinen Platz hinter dem Tor des Blutes. Die hohen Stadtmauern und die verwinkelten Türme von Daugazburg schnürten den Platz ein wie ein zu eng gebundener Gürtel. Der freie Raum konnte die Menge kaum fassen, die sich heute für das Schauspiel versammelt hatte.
    Immer mehr Volk drängte aus den verschatteten Gassen zwischen den Gebäuden heran, es stand auf den Galerien, die sich um Türme und Erker wendelten, und es belagerte die Brücken und Hochstraßen dazwischen. Wer Zugang zu den Wehrgängen hatte, suchte sich dort einen Platz. Goblinkrieger beugten sich über die zur Stadt hin ungesicherte Kante des Außenwalls und spähten hinab. Sie schoben Gnomenkundschafter die Treppen hinunter, wo diese auf den unteren Stufen stehen blieben oder in kleiner Gestalt an den Steinen emporkletterten, um sich einen besseren Platz zu suchen.
    Dennoch blieb es erstaunlich ruhig. Auf dem Schafott stand ein Nachtalb, mit dem olivgrünen, rundlichen Gesicht und den feinen Zügen seines Volkes. Er verlas mit monotoner Stimme die Anklage in ein bleiernes Schweigen hinein. Nur die Goblins auf den Wällen blieben von der Stimmung unberührt. Ab und zu johlten sie oder warfen Abfälle unter die versammelten Massen. Zwei von ihnen flogen selbst hinterher, als die Unteroffiziere für Ordnung sorgten. Blutend und zerschlagen blieben sie auf dem Pflaster liegen, und einer zerschmetterte beim Aufprall noch einen Menschen, der hinten in der Menge gestanden hatte.
    Sie waren eben Goblins. Niemand erwartete etwas anderes von ihnen, und niemand scherte sich um ihren Tod oder um den Tod eines menschlichen Sklaven. Ungerührt blieben alle Augen auf das Schafott gerichtet. Allenfalls die Zuschauer auf den schlechten Plätzen unmittelbar unter der Außenmauer schauten immer wieder misstrauisch nach oben.
    Neben dem Herold, der die Anklage vortrug, stand ein Gnom in Ketten: Wito, der Held des letzten Krieges. Bewahrer von Leuchmadans Kästchen. Der Hüter des Lebens in Daugazburg. Zwölf Jahre zuvor hatte er die Verwüstung der Grauen Lande verhindert. Geliuna, die Gebieterin von Daugazburg und eine der letzten Feien, hatte ihn deshalb zum Geheimen Rat erhoben. Jetzt war er tief gestürzt und in Ungnade gefallen.
    Den Blick starr auf das Pergament gerichtet, las der Herold von Verrat und Verschwörung gegen die Herrin der Nacht, von Umsturz und Ketzerei wider Leuchmadans Geist. Hinter ihm stand ein spilleriger Kobold, der dem Alb gerade bis zu den Knien reichte und damit noch kleiner war als der verurteilte Gnom. Er unterstrich die Worte, indem er an den richtigen Stellen eine blecherne Rassel schlug. Fast an den richtigen Stellen. Wann immer er zu früh schlug und die letzten Worte des Herolds übertönte, oder zu spät, wenn der Herold schon wieder fortfahren wollte, bedachte der den Kobold mit einem bösen Blick.
    Die Menge nahm die Anschuldigungen gegen den Verurteilten schweigend auf.
    Fünf Reihen schwer bewaffneter Goblins, krummbeinig, langarmig, bildeten einen schützenden Ring um die Richtstätte. Ihre Gesichter zeigten eine Mischung aus menschlichen und äffischen Zügen. Ihre tief liegenden Augen blitzten tückisch über der flachen Nase, und sie fletschten die Raubtierzähne.
    Die Menge drängte gegen sie. Das Schafott ragte auf wie eine Insel im feindseligen Meer. Auch wenn die Zuschauer ruhig blieben, lag etwas Bedrohliches in dieser Stille. Die Goblins rückten dichter zusammen und hoben die Schilde.
    Die untergehende Sonne zeichnete einen dunkelroten Streifen an den westlichen Himmel. Die Türme der Stadt, wo sie über die Wälle hinausragten, glühten wie in Blut getaucht. Die Gesichter tief unten lagen im Schatten. Etwas regte sich in der Menge.
    Die Goblins fassten die Speere fester. Einer schlug nach einem Schaulustigen in der vordersten Reihe und zog ihm einen blutigen Striemen über die Wange. Die Umstehenden zischten unwillig. Einige Zuschauer wichen zurück, andere drängten umso fester gegen den Schildwall. Die Reihen der Goblins wurden mit einem Ächzen zusammengepresst.
    Weiter hinten in der Menge bildete sich eine Gasse. Eine hochgewachsene Gestalt trat zwischen die Zuschauer, und alle machten eilig Platz. Der Scharfrichter war gekommen. Langsam schritt er auf das Schafott zu und hinterließ einen schmalen freien Pfad hinter sich, eine schnurgerade Wunde, wie mit dem Messer über den Platz gezogen.
    Die Schwarze Fei
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