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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia
Autoren: Thilo Corzilius
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Stadt, um bei
der Wahrsagerin Berrie die abstrusesten Dinge zu lernen. Was er später damit
anfangen wollte, darüber war er sich vielleicht selbst noch nicht im Klaren.
Fest stand nur, dass er ebenso wie Lara ein Zuhause in der düstergoldenen Stadt
der Raben gefunden hatte.
    Â»Krah«, machte es von oben und ehe sich Lee und Lara
umgesehen hatten, landete auf einer Regenrinne über ihnen ein großer, leicht
zerzaust wirkender Kolkrabe. Er flatterte etwas tollpatschig mit den Flügeln,
bis er einen sicheren Halt auf dem Rand der Rinne gefunden hatte, aber
schließlich verharrte er ruhig über ihnen, beäugte sie und legte den Kopf
schief.
    Â»Guten Tag die Herrschaften«, krächzte der Vogel. »Wie
war es in Highgate?«
    Â»Elendig«, antwortete Lara wahrheitsgemäß. »Aber
schön, dich zu sehen, Dexter.«
    Â»Danke«, krächzte Dexter. »Es ist ja nicht so, als ob
wir uns nicht tagtäglich zu sehen bekämen.«
    Â»Na ja, ich kann verstehen, dass du nicht mitwolltest.«
    Â»Du wolltest ja selbst nicht, stimmt’s?«
    Â»Aber ich musste.«
    Â»Siehst du?«
    Dexter war einer der Raben
von Ravinia. Er hatte Lara seit seiner Bekanntschaft mit ihr und seit den
Vorfällen um Roland Winter ins Herz geschlossen. Ohnehin hatte er mit Menschen
immer ein wenig mehr anzufangen gewusst als mit seinen eigenen Artgenossen, und
so hatte Lara ihn aufgenommen. Mit der etwas verhaltenen Zustimmung Tom
Truskas, dem die Raben wohl immer schon ein wenig suspekt gewesen waren.
    Â»Hey Dexter«, grüßte Lee artig.
    Â»Hallo Lee«, sagte der Vogel. »Wohin wollt ihr
eigentlich? Noch ist kein Wochenende.«
    Â»Schabbat«, redete der junge Amerikaner sich raus.
    Â»Blödsinn, der ist erst ab heute Abend. Außerdem lauft
ihr dafür zu viel draußen herum.«
    Â»Lee will mich aufheitern«, verteidigte Lara ihn.
    Â»Na, sieh an.«
    Â»Was sagt denn deine Freundin dazu, dass du andere
Frauen aufheiterst ?«
    Wären Raben in der Lage, ein süffisantes Lächeln
aufzusetzen, hätte Dexter es in diesem Moment wahrscheinlich getan.
    Â»Was soll sie schon sagen?«, meinte Lee
schulterzuckend. »Vielleicht Jeden Tag eine gute Tat oder
so etwas in der Art.«
    Â»Aha«, machte der Rabe bloß. »Und wie heitert man
verwirrte Freunde auf?«
    Ein breites Grinsen stahl sich auf Lees
sommersprossiges Gesicht.
    Â»Mit heißer Schokolade!«, verkündete er beinahe
feierlich. »Und anschließend zeige ich euch noch etwas Einmaliges. Ihr werdet
es mögen, ganz sicher!«

    Geborgenheit war vielleicht das ultimative
Gefühl aller Gefühle für Lara.
    Zumindest bisweilen.
    Â»Ah, Miss McLane«, begrüßte sie der kleine und sehr
dicke Mann, als sie die mit Gästen gut gefüllte Chocolateria betraten. Melvin
hieß er und sah ein wenig aus, wie man sich im Allgemeinen einen französischen
Wirt aus den Zwanzigerjahren vorstellte: Dickbäuchig, mit einem alten Hemd und
darüber die Hosenträger einer hochwasserverdächtigen Cordhose. Allein die rote
Nase fehlte ihm. Dafür war er mit einem leicht federnden Gang gesegnet.
    Â»Wie schön, dass Sie uns besuchen. Wo ist Meister
Truska?«
    Â»In Edinburgh, Tee trinken«, gab Lee zur Antwort. »Melvin,
mach uns doch bitte etwas, das trübe Mienen vertreibt!«
    Der Chocolatier sah ihn mit einem milden Lächeln an.
    Â»Ich schenke keinen harten Alkohol aus. Schon gar
nicht an Minderjährige.«
    Â»Du weißt, was ich meine. Es gab da eine Beerdigung.«
    Â»Oh ja, ich hörte davon«, entsann Melvin sich und
huschte von dannen.
    Â»Außerdem ist Lara achtzehn«, rief Lee ihm hinterher.
    Â»Also doch einen Cognac?«, tönte es hinter einem Regal
aus den Tiefen der Chocolateria hervor.
    Lara musste nun doch lachen.
    Â»Nein danke.«

    Kurze Zeit später dampften vor ihnen zwei
Tassen heiße Schokolade. Schokolade, die nach Winter und innerer Wärme, ja
Geborgenheit eben, schmeckte. Und mit jedem Schluck schien ein wenig von der
Schwere auf Laras Seele weggespült zu werden.
    Dexter bearbeitete mit Hingabe ein Amarettini, während
der Chocolatier die junge Schlüsselmacherin und den Wahrsager an einen langen
Tisch vor einem seiner Ausstellungsfenster komplimentiert hatte, ohne dass
andere Gäste dafür hatten weichen müssen. Von hier aus hatten sie einen
wunderbaren Blick auf das skurrile
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