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Enwor 9 - Das vergessene Heer

Enwor 9 - Das vergessene Heer

Titel: Enwor 9 - Das vergessene Heer
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Verlies.

E s wurde Mittag, Nachmittag und schließlich Abend. Eine Stunde vor Sonnenuntergang kamen zwei Quorrl und brachten einen hölzernen Bottich voller übelriechender Abfälle, auf die sich die Gefangenen voller Gier stürzten, kaum daß die Quorrl ihn abgesetzt hatten. Es kam zu Kämpfen unter den Männern und Frauen, und längst nicht alle bekamen zu essen. Einige wurden verletzt, und einer so schwer, daß er wahrscheinlich sterben würde.
    Auch Skar hatte Hunger, aber er bewegte sich nicht von der Stelle. Allein der Gestank, der dem Bottich entströmte, drehte ihm schier den Magen herum, und schon die bloße Vorstellung, sich wie ein wütendes Tier auf das Essen zu stürzen und darum zu
kämpfen,
erfüllte ihn mit Grauen. Er betrachtete die schreckliche Szene in einem Zustand zwischen Entsetzen und Lähmung. Sein Vorsatz, Cron zu töten, für das, was hier geschah, war fester denn je. Und gleichzeitig fiel es ihm immer schwerer, diese verdreckten, hechelnden, wimmernden Kreaturen als
Menschen
zu akzeptieren. Er hatte Titch ein
Tier
genannt, aber diese zwei Dutzend Gestalten hier waren weniger als Tiere.
    Die Sonne ging unter. Durch die beiden winzigen Fenster unter der Decke fiel jetzt der flackernde Schein zahlreicher Feuer, die auf dem Hof entzündet worden waren. Sie hörten Lärm: Gelächter, Stimmen, schrille, atonale Laute, die vielleicht Musik sein mochten, das Wiehern zahlreicher Pferde, und einmal das Klirren von Waffen, das aber nicht von Kampflärm, sondern von Gelächter und anfeuernden Rufen untermalt wurde. Und eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang kam Titch zurück.
    Er war nicht allein. In seiner Begleitung befanden sich zwei weitere Quorrl aus Crons Gesinde und ein Krieger. Wie immer, wenn Quorrl das Verlies betraten, wichen die Gefangenen angstvoll vom Gitter zurück und preßten sich gegen die Wand. Aber etwas war anders, diesmal. Titch öffnete die Gittertür und betrat den Käfig zusammen mit den drei anderen Quorrl, blieb aber fast sofort wieder stehen und sah nachdenklich in die Runde.
    Schließlich deutete er auf einen hochgewachsenen, knochigen Mann, der sich in die entfernteste Ecke des Raumes gedrückt hatte. Die beiden Bediensteten neben ihm setzten sich in Bewegung. Der Mann schrie auf, begann zu wimmern und versuchte verzweifelt, an der Wand hinaufzuklettern. Die Angst gab ihm genug Kraft, daß er sogar einen, anderthalb Meter an Höhe gewann, ehe die Quorrl ihn erreichten und grob herunterzerrten. Er versuchte sich zu wehren, aber die Quorrl brachen seinen Widerstand mit brutalen Schlägen, die ihn halb bewußtlos in ihren Armen zusammensacken ließen.
    »Was bedeutet das?« murmelte Kiina entsetzt. Sie hatte geflüstert, aber anscheinend trotzdem zu laut gesprochen, denn der Quorrl-Krieger wandte mit einem Ruck den Kopf und sah stirnrunzelnd in ihre und Skars Richtung. Skar machte eine hastige, verstohlene Geste mit der Hand, still zu sein. Menschliche Gefangene, die
sprachen,
waren sicher nicht dazu angetan, das Mißtrauen des Kriegers zu zerstreuen.
    Außerdem wußte Kiina so gut wie er, was geschah. Titch war gekommen, um das Abendessen auszuwählen.
    Erstaunlicherweise brach nicht einmal Panik unter den Gefangenen aus. Titch suchte drei weitere Opfer heraus, die seine Begleiter aus der Menge holten und mit kurzen Stricken zusammenbanden, aber niemand versuchte, etwas zu tun, zu fliehen, oder sich — wie Skar es getan hätte — auf die Quorrl zu stürzen, um lieber im Kampf zu sterben als
gegessen
zu werden. Diese Menschen hatten keinen Widerstandswillen mehr.
    Schließlich wandte sich Titch mit einem zufriedenen Grunzen um, machte ein paar Schritte auf die Tür zu und blieb wieder stehen. Er drehte sich herum, sah stirnrunzelnd und mit schon fast übertrieben geschauspielerter Unschlüssigkeit zu Skar und Kiina hinüber und hob die Hand.
    Kiina fuhr zusammen, war aber diesmal geistesgegenwärtig genug, keinen verräterischen Laut von sich zu geben. Die beiden Quorrl kamen auf sie zu, packten Kiina und Skar grob bei den Armen und zerrten sie in die Höhe. Skar wehrte sich, schon um nicht aufzufallen, aber nicht so sehr, daß die Quorrl einen Anlaß fanden, ihn niederzuschlagen. Wie die anderen Gefangenen wurden sie gebunden und mit groben Stößen aus dem Käfig bugsiert. Das Gehen fiel Skar überraschend schwer. Er hatte Mühe, mit den anderen Gefangenen mitzuhalten und handelte sich mehr als einen derben Rippenstoß — einen davon von Titch höchstpersönlich —
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