Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enwor 9 - Das vergessene Heer

Enwor 9 - Das vergessene Heer

Titel: Enwor 9 - Das vergessene Heer
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
und mit geschlossenen Augen. Wie schon ein paarmal überkam Skar ein warmes, sehr tiefes Gefühl von Zärtlichkeit, als er sie betrachtete. Aber es verging rasch. Er war zu müde und zu zornig, um irgend etwas anderes zu fühlen als Unruhe und Haß.
    »Glaubst du, daß wir es schaffen?« fragte Kiina plötzlich.
    Skar fuhr leicht zusammen. Er hatte nicht einmal bemerkt, daß sie die Augen geöffnet hatte und ihn ansah. »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Es sind viele Krieger draußen.«
    »Die Männer unten im Haus«, sagte Kiina nach einer Weile.
    »Die, die mit uns hergebracht worden sind. Sie… sie werden sie töten, nicht?«
    »Ich fürchte, das haben sie schon«, murmelte Skar.
    »Um sie zu essen.« Kiina richtete sich auf, zögerte einen Moment und stand dann mit einer überraschend energischen Bewegung ganz auf. Aber sie kam nicht auf ihn zu, sondern ging an Skar vorbei zum Fenster, um auf den Hof hinabzusehen.
    »Das ist entsetzlich«, flüsterte sie. »Sie sind… Titch ist ein Ungeheuer, aber ich dachte, er wäre trotzdem dein Freund.«
    »Das ist er auch.«
    Kiina drehte sich um und starrte ihn an. »Aber sie essen
Menschen!«.
    »Ich weiß«, sagte Skar. »Du selbst hast einen Drachen geritten.
    Wie viele deiner Schwestern sind von Drachen gefressen worden?«
    »Das ist etwas anderes!« behauptete Kiina erregt.
    Skar widersprach ihr nicht, aber er stimmte auch nicht zu, sondern trat wortlos neben sie ans Fenster und blickte wieder auf den Hof hinaus. Er fragte sich, warum er die Quorrl plötzlich verteidigte, aber es war, als könne er nicht mehr zurück, jetzt, wo er diese Rolle einmal übernommen hatte.
    »Es ist nicht ihre Schuld«, sagte er leise. »Sie sind nicht von selbst so geworden, Kiina. Dieses Volk ist…« Er stockte. Kiina wußte längst nicht alles, was
er
wußte. Sie hatte den größten Teil der Zeit, die sie im Turm gewesen waren, schlafend verbracht, und es hatte weder für Ennart noch für Anschi irgendeinen Grund gegeben, ihr die Geschichte der Quorrl zu erzählen, so wie ihm oder Titch.
    »Was sind sie?« fragte Kiina, als er nicht weitersprach.
    »Ich glaube, das wissen sie selbst nicht«, flüsterte Skar. »Ein Heer. Eine Waffe.« Er zitierte Ennarts Worte aus dem Gedächtnis, so gut er konnte: »Die Antwort der Ssirhaa auf die Kreatur der
Sternengeborenen.«
Er hob die Hand und deutete auf die Ansammlung von Zelten und großen schuppigen Gestalten unten auf dem Hof. »Die Ssirhaa haben sie erschaffen, verstehst du?
    Sie sind Krieger. Die perfektesten Kämpfer, die du dir vorstellen kannst. Zu nichts anderem erschaffen als zum Töten. Dieses ganze Volk ist nichts als ein gewaltiges, vergessenes Heer.«
    Das nur darauf wartet, loszuschlagen und ganz Enwor niederzurennen,
wisperte eine Stimme hinter seiner Stirn. Er wußte, daß das nicht wahr war, aber die Stimme seines Dunklen Bruders war verlockend, seine Lüge von einer Art, die sie selbst dann noch gefährlich sein ließ, wenn man sie erkannt hatte.
    »Titch ist anders«, widersprach Kiina überzeugt.
    Skar nickte. »Und nicht nur er. Sie haben sich verändert. Es ist viel Zeit vergangen.«
    »Das klingt, als wolltest du sie verteidigen.«
    »Vielleicht will ich es.« Er verbesserte sich: »Nein, nicht vielleicht. Es gibt noch immer Quorrl wie Cron oder diese Krieger da unten. Aber die meisten wollen keinen Krieg mehr. Wir werden Frieden mit ihnen schließen.«
    »Frieden? Mit den Quorrl?«
    »Hast du nicht selbst Titch gerade verteidigt?«
    »Titch ist kein normaler Quorrl!« antwortete Kiina. »Er ist…«
    Sie suchte nach Worten und hob nach ein paar Sekunden hilflos die Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber er ist nicht wie die anderen Quorrl.«
    Skar spürte, daß das Gespräch sich im Kreis drehte. Kiina war einfach nur müde und krank, und er selbst kaum in der Verfassung, mit ihr zu diskutieren. Ganz davon abgesehen, daß er sich nicht einmal über seine eigenen Gefühle im klaren war. Vielleicht hatte Titch recht, und sie sollten die Zeit nutzen, um ein wenig zu schlafen. Wenn sie flohen und — was nicht auszuschließen war
    - verfolgt würden, würden sie all ihre Kraft brauchen.
    »Leg dich wieder hin«, sagte er. »Ruh dich aus. Ich werde Wache halten.«
    Eine Stunde vor Morgengrauen. Skar fuhr aus dem Sessel hoch, in dem er eingeschlafen war. Er brauchte ein paar Sekunden, um in die Wirklichkeit zurückzufinden. Er erinnerte sich an einen krausen Traum ohne Handlung, in dem er halb wahnsinnig vor Angst gewesen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher