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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition)
Autoren: Simon Beckett
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KAPITEL  1
    Der Wagen fährt auf den letzten Tropfen. Seit Stunden keine Tankstelle, und die Tankanzeige ist tief in den roten Bereich gerutscht. Ich muss von der Straße runter, aber die Felder erstrecken sich endlos zu beiden Seiten und zwingen mich, immer weiter geradeaus zu fahren, bis der Motor den Geist aufgibt. Es ist noch früher Morgen, doch dieser Tag wird heiß und trocken. Der Wind, der durch die offenen Fenster hereinweht, bringt keine Kühlung.
    Ich fahre über das Lenkrad gebeugt und rechne jeden Moment damit, dass der Motor ausgeht. Dann sehe ich eine Lücke in der grünen Barriere. Zu meiner Linken schneidet ein Feldweg eine Bresche zwischen zwei Weizenfelder. Ich lenke den Wagen von der Straße auf den holprigen Weg. Mir ist egal, wohin er mich führt, solange ich dort nur in Deckung bin. Ich erreiche ein Wäldchen. Äste kratzen an den Fenstern, als ich den Audi hineinlenke und den Motor ausschalte. Im Schatten der Bäume ist es kühler. Die Stille wird nur vom leisen Ticken des Motors und fließendem Wasser durchbrochen. Ich schließe die Augen und lehne den Kopf nach hinten. Aber ich habe keine Zeit, mich auszuruhen.
    Ich muss in Bewegung bleiben.
    Zuerst schaue ich ins Handschuhfach des Wagens. Ein bisschen Müll und ein fast volles Päckchen Zigaretten. Camel, meine alte Lieblingsmarke. Nichts davon könnte mich verraten. Als ich über den Beifahrersitz hinweg danach greife, bemerke ich den Geruch. Schwach, aber unangenehm. Wie Fleisch, das jemand in der Sonne liegen gelassen hat.
    Etwas ist auf dem edlen Lederpolster des Beifahrersitzes verschmiert, ebenso auf dem abgewickelten Anschnallgurt, der bis in den Fußraum hängt. Das robuste Material ist an einer Stelle fast durchgerissen, und als ich mit den Fingern darüberfahre, ist da etwas Klebriges und Dunkles.
    Mir wird schwindelig bei der Vorstellung, dass ich den ganzen Weg gefahren bin, während
das da
gut sichtbar war. Ich will möglichst schnell eine große Entfernung zwischen das Auto und mich bringen, aber so kann ich es nicht zurücklassen. Die Äste kratzen über die Tür, als ich aussteige. Ich finde den Bach, der durch das Wäldchen führt, und meine Hände zittern, als ich dort ein Taschentuch anfeuchte, das ich im Handschuhfach gefunden habe. Der Sitz lässt sich einfach abwischen, aber das Blut ist in das Material des Gurts eingezogen. Ich reibe so viel wie möglich herunter, dann wasche ich das Taschentuch im Bach aus. Wasser umschließt meine Hände wie gläserne Handschellen, als ich sie mit dem Sand vom Grund des Bachs abschrubbe. Selbst danach fühlen sie sich nicht richtig sauber an.
    Ich spritze mir Wasser ins Gesicht und ziehe eine Grimasse, als es die Kratzer auf meiner Wange benetzt. Dann gehe ich zurück zum Auto, das nach der langen Fahrt von einer dicken Staubschicht überzogen ist, die den schwarzen Lack verbirgt. Mit einem Stein schlage ich die Nummernschilder aus Großbritannien herunter, dann hole ich meinen Rucksack aus dem Kofferraum. Als ich ihn heraushebe, verfängt sich ein Riemen an der Abdeckung fürs Reserverad. Darunter blitzt etwas Weißes auf. Ich schiebe die Matte beiseite, und mein Magen verkrampft sich, als ich das in Plastikfolie gewickelte Päckchen sehe.
    Mit weichen Knien lehne ich mich gegen den Wagen.
    Es hat ungefähr die Größe einer Tüte Zucker, aber das weiße Puder darin ist längst nicht so unschuldig. Hastig schaue ich mich um, als könnte mich jemand hier sehen. Aber hier sind nur Bäume und das beständige Summen der Insekten. Ich starre das Päckchen an und bin zu erschöpft, um diese neue Komplikation zu begreifen. Ich will es nicht mitnehmen, aber hierlassen kann ich es auch nicht. Also nehme ich es, stopfe es ganz nach unten in meinen Rucksack, knalle die Kofferraumklappe zu und gehe los.
    Die Weizenfelder liegen noch verlassen da, als ich aus dem Wäldchen komme. Ich werfe die Nummernschilder des Wagens und die Schlüssel zwischen die hohen Halme, ehe ich mein Handy aus der Tasche ziehe. Es ist hoffnungslos und irreparabel kaputt. Im Gehen nehme ich die SIM -Karte heraus und zerbreche sie in zwei Teile, ehe ich die winzigen Plastikstücke in das eine Feld werfe und das Handy in das andere.
    Ich wüsste ohnehin nicht, wen ich anrufen sollte.
    Das graue Asphaltband der Straße flirrt und zuckt, während die Sonne höher steigt. Die wenigen Wagen, die unterwegs sind, wirken wie in der Hitze gefangen, sie scheinen sich kaum zu bewegen, bis sie plötzlich farbig aufblitzen und
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