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Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Titel: Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
Autoren: Nancy Mitford
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Konversion des fremdenfeindlichen und antideutschen Farve scheint die absonderlichste Rache zu sein, die Unity an ihm nahm. Vielleicht hatte sie recht gehabt, und Farve konnte wirklich durch das menschliche Auge unterworfen werden.
    Jessica war zweieinhalb Jahre jünger als Unity. Obwohl sie anscheinend oft vollkommen entgegengesetzter Meinung waren, gaben sie doch im Grunde einem gemeinsamen Temperament Ausdruck. Wären sie in umgekehrter Reihenfolge zur Welt gekommen, sie hätten, so könnte man sich vorstellen, ihre Rollen getauscht. Auch Jessica reagierte auf Swinbrook mit eskapistischen Sehnsüchten, und seit ihrem zwölften Lebensjahr unterhielt sie auf der Bank ein, wie sie es nannte, Weglaufkonto. Als Unity sie zur Faschistin machen wollte, antwortete sie: »Wenn du Faschistin sein willst, so werde ich Kommunistin: also!« Daraufhin wurde das Kinderzimmer in Swinbrook in der Mitte geteilt: auf der einen Seite Hakenkreuze und Fotos von Mosley, auf der anderen Seite Literatur der Kommunistischen Partei und eine kleine Lenin-Büste. Hier entstand ein Abbild des ideologischen Kampfes, der damals in der Welt geführt wurde. »Manchmal verbarrikadierten wir uns mit Stühlen und führten regelrechte Feldschlachten auf; wir bewarfen uns mit Büchern, bis das Kindermädchen kam und uns aufforderte, den Lärm zu unterlassen.« Ein junger Oxfordstudent (und späterer britischer Botschafter) erinnert sich an einen Besuch in Swinbrook, wo er von den zum Kampf gerüsteten Schwestern gefragt wurde, ob er Kommunist oder Faschist sei. Als er antwortete, er sei Demokrat, kam es wie aus einem Mund: »Noch ganz schön blöd!«
    Unter Jessicas Literatur befand sich ein Exemplar von Out of Bounds. Dies war nun wirklich eine kleine Zeitschrift, ein Neuntagewunder des Jahres 1934, die fast im Einmannbetrieb herausgegeben wurde von einem Schuljungen, Esmond Romilly, der damit andere Schuljungen aktivieren wollte, angesichts der Fragen der Stunde, Klassensystem und Aufstieg des Faschismus. Romillys Mutter war die Schwester Clementine Churchills, und so wurde er sofort von den Zeitungen als »Winstons Roter Neffe« bezeichnet. Für Farve war dieser Vetter der Mitfords offensichtlich ein Gulli, für Jessica war er ein leuchtender Rebell. 1936 waren sie beide, Jessica und Esmond, achtzehn Jahre alt, aber er war bereits in Spanien gewesen, als leidenschaftlicher Franco-Gegner in den ersten Schlachten des Bürgerkriegs. Jessica gelang es, ihm bei einer Wochenendparty vorgestellt zu werden; es war Liebe auf den ersten Blick, worauf die beiden durchbrannten, natürlich nach Spanien, ohne ein Wort zu Muv und Farve. Parallel zu Unity hatte sich Jessica einen Helden erwählt, der Fantasie in Wirklichkeit verwandeln konnte.
    Bestürzt wandten sich die Redesdales an Anthony Eden, den damaligen Außenminister, der dem britischen Konsul in Bilbao ein Telegramm schickte: »Finden Sie Jessica Mitford, und überreden Sie sie zur Rückkehr.« Zur rechten Zeit brachte ein britischer Zerstörer Jessica und Romilly von Spanien nach Südfrankreich, wo Nancy und Prod sie in einer etwas sarkastischen Stimmung erwarteten. Jessica heiratete Esmond, der Boadilla zu schreiben begann, ein Buch über Spanien, das sich wegen der Begeisterung, die darin zum Ausdruck kommt, immer noch lesen lässt. Wie Unity schrieb auch er einen Brief an Churchill, um seinen Standpunkt zu verteidigen: ebenso erfolglos. Bald machten sich Jessica und Esmond auf, um ihr Glück in Amerika zu suchen.
    Mit der einen oder anderen Schwester am Werk, kamen die Konsularbeamten in einem halben Dutzend von Ländern nicht zur Ruhe. Ebenso die englischen Zeitungen. In einem gewissen Sinn waren die Familienpossen für das Massenpublikum eine Art Seifenoper aus der Oberschicht. Zwischen den Kriegen war die Massenpresse wie besessen von Vorgängen in der Aristokratie; und wenn diese Aristokratie über die Stränge schlug: um so schärfer. Die Kommentatoren schienen die Privilegien ebenso zu bewundern wie deren Missbrauch. Wütende Leser schrieben an die Zeitungen und beklagten sich, dass normale Menschen, die sich wie die Mitfords aufführten, nie die bis in alle Einzelheiten gehende Aufmerksamkeit der Journalisten auf sich lenken würden. Ein Streit wie der über die Henne und das Ei: Was kam zuerst, die Mitfords oder ihre Publicity? »Immer wenn ich die Worte ›Tochter eines Peers‹ in einer Schlagzeile sehe«, sagte Muv verdrießlich, »dann weiß ich, es ist wieder etwas über euch Kinder.«
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