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Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Titel: Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
Autoren: Nancy Mitford
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deutschen Freundin, die achtzehn Jahre alt, gescheit und Tochter eines extrem reichen Industriellen war, sah sich Unity vier Wohnungen an, eine Auswahl, die Hitlers Büro ihr besorgt hatte. In einer Wohnung in der Agnesstraße befanden sich noch die verängstigten jüdischen Besitzer. Vor den Augen des älteren Ehepaars, das zugunsten Unitys vor die Tür gesetzt werden sollte, maßen die beiden Mädchen die Wohnung aus und machten Pläne für die Ausstattung. Als Unitys Freundin sich fünfunddreißig Jahre später der Szene entsann, konnte sie sich dieses Verhalten nicht mehr erklären. War diese Gefühllosigkeit nicht einfach ein Teil des moralischen Versagens und des Wahnsinns in jener Zeit?
    Ein Sekretär, der von der deutschen Botschaft in London zurückkehrte, arrangierte den Transport einiger Möbel Unitys unter diplomatischem Schutz, und so nahm sie auch dabei wieder Privilegien in Anspruch. Jedenfalls hatte sie sich im Juni 1939 in der Agnesstraße eingerichtet: Hakenkreuzflaggen schmückten die Wand hinter ihrem Bett. Die Wohnzimmermöbel waren ein Geschenk Hitlers. Hitlers Motive sind schwer zu verstehen. Vielleicht war seine Fürsorge nur ein Vorspiel, um sie loszuwerden. Vielleicht dachte er an ein Täuschungsmanöver. Stünde der Krieg mit England wirklich unmittelbar bevor, würde er doch gewiss nicht seine Freundin, seinen weiblichen Schützling in dieser grausamen Art und Weise hintergehen und sie zum Verrat treiben – musste der britische Konsul nicht in diesem Sinn nach London berichten? Sie besaß einen Revolver und hatte immer gesagt, dass sie sich im Falle eines Krieges erschießen werde. Man hatte das für einen Teil ihrer albernen Selbstinszenierung gehalten, doch wer sie gut kannte, war davon überzeugt, dass sie es auch meinte: Sie selbst wenigstens nahm sich ernst.
    Als am 3. September der Krieg erklärt wurde, gerieten ihre Fantasien an einen kritischen Punkt. Entweder musste sie ihrem Land und ihren Eltern abschwören oder aber Hitler und dem Nazismus. Wie sie es sah, gab es keine Wahl ohne Verrat. Eine Stunde, nachdem die Kriegserklärung übers Radio gemeldet worden war, fuhr sie in den Englischen Garten, setzte sich auf eine grüne Bank und schoss sich mit dem Revolver in die Schläfe. Bewusstlos, aber nicht lebensgefährlich verletzt, brachte man sie in die Universitätsklinik in der Nußbaumstraße. Die Kugel ließ sich nicht entfernen. Erst am 8. November fand Hitler Zeit für einen Besuch bei ihr; dabei fragte er, was sie zu tun wünsche. Nach Hause fahren, war ihre Antwort. So fuhr sie, als sie transportfähig war, am 23. Dezember in einem Sonderzug nach Bern, wurde dort der Obhut ihrer Mutter und ihrer Schwester Debo übergeben und erreichte am 4.Januar 1940 England. Ihre Möbel wurden ausgelagert (und überstanden den Krieg), und ihre Ausgaben für die ärztliche Behandlung – aber auch für ein Paar Schuhe – wurden von Hitler beglichen; es war das Mindeste, was er tun konnte.
    »Unitys Vater gesteht Irrtum.« Schlagzeilen dieser Art überschwemmten jetzt die Presse. Die Redesdales mussten noch eine weitere Pille schlucken, als die Mosleys im Mai 1940 verhaftet wurden und ins Gefängnis kamen. Frankreich stand kurz vor der Niederlage, und während Hitler womöglich für die Invasion Englands mobil machte, konnte sich keine Regierung den Luxus einer Untersuchung leisten, welcher Seite Mosley und die BUF sich nun wirklich verpflichtet fühlten. Churchill war gerade Premierminister geworden, und es wird ein Dilemma für ihn gewesen sein, dass er Verwandte ohne Prozess ins Gefängnis stecken lassen musste – insbesondere eine Verwandte, in der er die schöne Dynamite gesehen hatte und die einmal sein Gast in Chartwell gewesen war. Später im Krieg sollte Tom in Downing Street speisen und für Diana bitten; wie im klassischen Drama waren abstrakte Überzeugungen und Prinzipien zu Menschen geworden. Die Mosleys wurden gegen Ende 1943 freigelassen.
    Tom kam in den letzten Kriegswochen bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Romilly ging als Freiwilliger zur Canadian Air Force, und sein Bomber blieb irgendwo über Deutschland verschollen. Jessica blieb in Amerika, und ihre Abenteuer mit den Kommunisten fanden ihren Niederschlag in dem Buch A Fine Old Conflict. Unity, die ihre Zurechnungsfähigkeit nie ganz wiedererlangt hatte, starb 1948 an den Nebenwirkungen ihrer Verletzung. Pamela heiratete einen bedeutenden Wissenschaftler, der dazu Amateurjockey war, und Debo heiratete den Mann,
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