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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut
Autoren: Julia Kroehn
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Grothusens Worten entgegenstellte. Es war stärker, weil es mehr zeigte, als jemals einer beklagen, verdammen, betrauern konnte. Es trieb ihnen den Gestank des brennenden Leichnams in die Nase. Es wirbelte heiße Asche in ihre Augen und tönte ihre Ohren mit dem verstummten Wimmern randvoll. Es senkte sich in den Raum und auf ihr Gewissen, es kleidete die Wände aus und presste aus den Kehlen der Versammelten verzweifeltes Weinen.
    Entsetzt sahen sie auf Grothusen, hoffend, er möge den Wettstreit aufnehmen, Samuel etwas entgegensetzen und Worte sagen, die sich wie ein dünner Firnis auf das verstörende Bild legen würden. Jener aber wandte sich würgend ab. Jetzt blickten alle auf Lena.
    Sie fühlte die Erwartung der Menge, aber tat nichts anderes als zu schreien. Sie schrie so laut wie zur Stunde der Geburt -ihrer eigenen und der des Kindes. Aber diesmal schenkte der Schrei kein Leben, und die Erde drehte sich nicht...
    »Oh mein Gott, es ist schmutzig!«, schrie Lena und betrachtete die Welt wie in jenen Zeiten, da sie Samuel noch nicht gekannt und nichts vom Unterschied zwischen Gut und Böse gewusst hatte, wie in jenen Zeiten, da sie im Dreck lebte. »Dieses Bild ist schmutzig!«
    Ihr Schrei war leiser als das Bild.
    In den hinteren Reihen begannen welche zu lachen und zu kreischen. Susanna hieb sich die Hände vor die nässenden Augen. Manch einer kotzte, wurde ohnmächtig und schlug sich fallend das Gesicht blutig. Wieder andere heulten sich das Gesicht nass und vermochten nicht, es wieder zu trocknen.
    Ihre Hände zitterten und bebten. Ihre Schritte wankten und rutschten aus.
    Lenas Schrei verklang, ohne dass sie ihn wiederholen konnte. Schmutz, Schmutz, Schmutz, ging es ihr durch den gemarterten Kopf.
    »Ich dachte, du wolltest einen Engel malen«, stammelte Grothusen bleich.
    Samuel erhob sich langsam. Seine Züge waren nicht länger konzentriert, sondern geglättet und entspannt.
    »Aber ich habe doch einen Engel gemalt!«, sagte er, blickte durch den Saal und lächelte, als er die Menschen erbeben, weinen und schreien sah. »Ich habe den schönsten und wahrhaftigsten aller Engel gemalt! Ich habe einen Engel so gemalt, wie ich einst Menschen malte!«
    Um ihn wurde das Keuchen, Heulen und Stöhnen lauter. Er hörte darüber hinweg.
    »Ihr erlaubt, dass ich Euch verlasse«, fuhr Samuel fort, beglückt und selig und befreit von dem verbissenen, krampfhaften Ringen der letzten Jahre. »Nichts bleibt für mich zu tun. Ich werde nie wieder ein Bild malen.«
    Grothusen schwankte. »Du bist krank!«, kreischt er. »Du bist verrückt!«
    Gleichmütig sah Samuel an ihm vorbei und stand auf. Durch seine Bewegung fand Lena die Worte wieder.
    »Wo willst du hin?«, fragte sie. »Was hast du vor?«
    Samuel antwortete nicht, sondern vollführte lediglich eine letzte Verbeugung in ihrer aller Richtung.
    Grothusen sprach es an seiner statt. »Begreift ihr jetzt endlich, dass Samuels Engel nicht lieben, weil sie getötete Kinder sind?«
    Lena schüttelte den Kopf – langsam zuerst, dann immer schneller. »Wo willst du hin?«, stammelte sie erneut.
    Samuel durfte nicht einfach gehen, und das Kind durfte nicht tot sein, ganz gleich, was Grothusen sagte und Samuel malte. Es fiel ihr ein, dass sie zu dem kleinen Körper gehen musste, ihn befühlen, auf seinen Pulsschlag horchen, um ihm Leben einzuhauchen und es zum Schreien zu bringen.
    »Das Kind ist nicht tot«, stammelte sie, »es ist nicht tot.«
    Gleichgültig wandte sich Samuel ab, ohne Abschied schritt er leichfüßig an allen vorbei und erreichte die Türe. Sein Fortgehen gewahrend, gab Lena es auf, nach dem weichen Körper zu tasten.
    »Das Kind ist nicht tot!«, wiederholte sie. Schreiend stürzte sie sich gegen Samuel und riss ihn zurück.
    Ihr Wille zu töten war zögerlich. Eine Weile tat sie nichts, als Samuel gepackt zu halten.
    »Fass mich nicht an!«, befahl jener kühl.
    Regungslos beobachtete die Menge, wie Lenas Griff stärker wurde, sich um Samuels Arme krallte und eine größere Kraft aufwendete, als sie jemals besessen hatte. Sie riss Samuel zu Boden, schlug mit ihren Fäusten in sein Gesicht und trat auf ihn ein. Einen Augenblick lang fühlte sie sich fremd in ihrem Körper. Dann spürte sie nichts mehr als ein Rasen und ein Toben, eine blinde, gewaltige Wut und einen Hass, der viel stürmischer, lärmender und hitziger war als ihre Liebe. Jene war stets körperlos gewesen. Ihr Hass aber nahm Samuels Leib ganz und gar in Besitz.
    Sie warf sich auf ihn;
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