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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut
Autoren: Julia Kroehn
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seine Hand fallen und trat zurück in den Schatten, wo er nach einem Kelch Wein griff. Er trank mit hängenden Lippen. Sie waren nicht zum Lächeln gebogen, sondern so weich, dass der Wein von den Mundwinkeln tropfte wie draußen der Regen von den struppigen Halmen.
    Als Lena in die Mitte des Saales trat, folgte ihr Samuels Blick. Ihm war nicht entgangen, dass Susanna fehlte und dass ihr Kind zuerst Lena und dann, nachdem sie es übergeben hatte, Doktor Mohr gehörte. Lange tat Samuel nichts, sie zu ermuntern. Er lachte nicht mehr, sondern lächelte lediglich schmal. Erst als sie zögerte zu reden, nickte er ihr zu.
    »Will ich malen«, sagte er und deutete auf die Staffelei, »will ich den reinsten, wahrhaftigsten und kostbarsten aller Engel malen, so brauche ich Blut.«
    Mit ihm sahen alle Versammelten auf Lena, die vorsichtig versuchte, Grothusens Rednerpose nachzustellen, die Hände vom Rücken löste, wo sie sie verkrampft gehalten hatte, und zu sprechen begann. Es fiel ihr schwer. Das Auf und Ab ihrer Stimme blieb holprig. Dennoch saugte sie sich an ihren Worten fest wie an Samuels Gesicht.
    »In dieser Nacht«, setzte sie unbeholfen an, »in dieser Nacht wird der große Samuel Alt das Bildnis eines Engels malen, wie zu erschauen es uns bislang versagt blieb, ein vollendetes Geschöpf, ein makelloser Himmelsbote, ein hehres Wesen der Lüfte.«
    Doktor Mohr hatte begonnen, das Kind zu waschen. Er rieb Blut und gelben Schleim von der runzeligen Haut. Hernach trocknete er behutsam seine Ärmchen und Beinchen ab und ließ es auf einem Leinentuch liegen.
    »Will ich Engel malen, so brauche ich Blut«, wiederholte Samuel.
    »In dieser Nacht soll ein Bildnis entstehen«, sprach Lena fort, »welches begnadet ist, erhaben und würdevoll und vollendet. Es soll Weinen und Lachen erzeugen, Andacht und Freude. Es soll satt machen.«
    Vorsichtig begann Doktor Mohr, das Kind zur Ader zu lassen. Die blau schimmernde Nabelschnur stand gebogen von seinem Leibe ab; die Zehen und Fingerchen krümmten, sich; Adern zerfurchten rötlich die zarten Schläfen neben den zusammengekniffenen Augen. Es wimmerte im weintrunkenen Raum.
    »Will ich Engel malen, so brauche ich Blut«, sprach Samuel.
    Lena empfing seinen Blick und überhörte das Kindlein. Mit jedem Wort schenkte sie es ihm mehr.
    »In dieser Nacht soll ein Bildnis entstehen kraft eines Menschenkindes, dem die Welt fremd ist, das die Welt noch nicht erschaute und erkannte. Dieses Kind hat noch nie die Ausdünstungen eines derben Körpers gerochen, die brünstigen Schreie eines weibstollen Mannes gehört, niemals Schweiß, Pisse und Kot geschmeckt, nie gesehen, wie Menschen qualvoll verreckten.«
    Aus der zähen Nacht knisterte erstes Tuscheln. Unter Lenas Stimme wurden sie wach – die Künstler, die Händler, die Tagelöhner, die Adeligen, die Kunstbesessenen. Ungehörig deuchte es sie, dass Grothusen nicht eingreifen mochte, während Lena ihm das Wort raubte, sondern es willenlos geschehen ließ, am Rand hocken blieb und nicht den Blick hob.
    »Will ich Engel malen, so brauche ich Blut«, wiederholte Samuel.
    »In dieser Nacht soll ein Bildnis entstehen«, fuhr Lena fort, »das nicht vom Makel der menschlichen Natur zeugt, sondern von einem weltlosen Wesen, das bislang nur im Himmel Schritte tat. Parteilos ist es, weil es noch nicht die Mutter kennt, an die es sich schmiegen kann. Verwöhnt, weil es bislang ins warme Fleisch einer liebenden Frau eingelullt war.«
    Da niemand auf das Geraune lauschte, ebbte es wieder ab. Doktor Mohr schnitt das Kind an allen Stellen, an dem man das Fließen seines Blutes erhoffen konnte. Zur späten Stunde kam Susanna von ihrem Wochenbett gewankt und sank aufseufzend auf einen Stuhl nieder. Auf dass das Kind gestärkt würde und der Blutfluss nicht abreißen möge, überreichte der Doktor ihr dann und wann das Kind, um es zu stillen. Susanna schenkte ihm die Brust, aber keinen Blick mehr. Sie forderte es auch dann nicht zurück, als das Wimmern des Kindes leise wurde.
    Lena tönte an seiner statt umso lauter.
    »In dieser Nacht soll Samuel einen Engel packen. Er soll ihn aus luftigen Höhen hinab auf sein Bildnis zwingen! Er soll mit dem Blut eines Wesens malen, das den himmlischen Geschöpfen nahe flog!«
    »Will ich Engel malen, so brauche ich Blut«, stimmte Samuel ein. Er mischte das erste Blut auf solche Weise mit Farben, wie es seine Schüler in den letzten Jahren ausdauernd erprobt hatten. Wenig später konnte er zu malen beginnen.
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