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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut
Autoren: Julia Kroehn
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malen, zu dem du nichts zu sagen weißt! Wir brauchen deine Worte nicht mehr! Das Bild wird für sich sprechen, ohne dich!«
    Grothusen ließ die Tischkante los, drängte sich an Lena vorbei und stellte sich zwischen sie und das wächserne Kind, auf das Doktor Mohr verstört hinabblickte.
    »Du hast ihm so viel Blut abgefordert, dass es starb! Ihr alle habt es getötet! Samuel ist abartig und krank! Nie wird er einen Engel zu fassen kriegen, und sollte er es können, wird’s ein gefallener Engel sein. Samuels Engel lieben nicht!«
    Samuel hob zum ersten Mal seinen Blick von der Leinwand.
    »Hör auf!«, rief Lena. »Hör auf, du Schuft!«
    Grothusen lächelte dünn.
    »Das Kind ist tot«, bekundete er entschlossen. »Samuels Engel lieben nicht.«
    Mit diesen Worten trat er zurück zu seinem Platz und hielt Lena nicht länger ab, zum Kind zu treten, seinen Pulsschlag zu fühlen und sein Leben zu bezeugen. Anstatt auf das Kleine zuzugehen, stürzte Lena jedoch in Samuels Richtung und sank vor dem Maler zu Boden.
    »Du musst gegen ihn anmalen, Samuel!«, befahl sie. »Du musst stärker sein als seine Worte!«
    »Das Kind ist tot«, erklärte Grothusen zum dritten Mal und steckte eine seiner Zigarren in den Mund. »Magst nichts mehr erreichen, Lenchen. Samuels Engel lieben nicht.«
    Langsam erwiderte Samuel Grothusens Lächeln. Herausfordernd hielt er ihn damit gefangen.
    »Mein Wort ist stärker als dein Bild«, sagte Grothusen.
    »Nein«, erwiderte Samuel. »Mein Bild ist stärker als dein Wort.«
    Lena vergaß das bleiche Kind. Aufstöhnend barg sie den Kopf in des Malers Schoß und wartete wie alle anderen stumm, dass er sein Bild malte.
    Die Nacht starb. Der Mond scheuchte sein zermürbtes Licht auf die Erde. Der Regen verstummte.
    Bis zum Morgengrauen malte Samuel, presste Lena ihren Kopf in seinen Schoß und blickte Grothusen müde auf beide.
    Zuletzt schien es, als wären er und Samuel die Einzigen, die wachten, während alle anderen schliefen. Selbst Doktor Thomas Mohr rührte sich nicht mehr. Dösend hielt er das Kindlein in den Armen und hörte nicht auf daran zu glauben, dass es lebte.
    Als diesiges Licht von außen hereinfiel, wurden Samuels Pinselstriche langsamer. Abrupt fuhr Lena hoch, rieb sich die Augen und befahl ihre Sinne zurück. Mit ihr schreckte Susanna auf, die verwaiste Mutter, die zwischen den Schenkeln blutend dem Morgen entgegengeschlafen hatte. Die Nacht war vorüber.
    »Ist der Engel vollkommen?«, stieß Lena aus, ungeduldig, atemlos, als wäre sie gerannt, anstatt zu sitzen. Samuel regte sich nicht. Ihn fröstelte.
    Obwohl sie so nahe bei ihm war, hatte Lena bis jetzt das Bild gemieden. Nun forderte sie dessen Anblick.
    »Zeige uns das Bild!«, verlangte sie gehetzt.
    Der Kreis um sie wurde dichter. Mancher drängte sich an Grothusen vorbei. Selbst Doktor Mohr ließ kurz von dem Kind ab, um das Bild zu erschauen.
    Samuel hob die Hand, als wolle er den letzten Pinselstrich zu Ende führen. Ehe er es tat, ließ er sie wieder sinken, fiel tief auf seinen Stuhl, worauf er aufrecht gesessen hatte, als Lenas Kopf in seinem Schoß ruhte, und schien nicht bereit, die Leinwand zu drehen. Schließlich musste Lena entblößen, was Samuel gemalt hatte, beinahe sieben Stunden hindurch, vor ihrer aller Augen und mit dem Blut von Susannas Kind.
    Lena blickte auf das Bild, und mit ihr taten es alle anderen. Jeder sog den Anblick ein und wich zurück.
    Das Bild brannte.
    Es zeigte keinen Engel, sondern es zeigte Susannas Kind, wie dessen geschundener Körper in den Flammen des Kamins zu Asche zerfiel. Auf dem Bilde war das Kind nicht nur tot, sondern selbst seine Überreste wurden der Vernichtung preisgegeben. Es lebte nicht mehr – und man wollte vertuschen, dass es je gelebt hatte. Das Kind brannte, damit nichts von ihm übrig blieb. Flammen vertilgten den bleichen Körper. Die zarten Härchen verkohlten in den Funken. Die bläuliche Nabelschnür wurde von der Glut gefressen. Und noch mehr hielt das Bild ihnen allen vor: verkrümmte Glieder verfielen schwärzlich zu Asche, zusammengekniffene Augen platzten in der sengenden Hitze, vertrocknete Lippen siechten in den Lohen, das Naschen schmorte zum knöchernen Stumpf.
    Samuels letztes Bild zeigte den Leichnam eines Neugeborenen, und das Bild war nicht schön und prachtvoll, sondern heillos und grässlich.
    »Ich habe es dir doch gesagt«, murmelte Samuel zu Grothusen, »mein Bild ist stärker als dein Wort.«
    Es war stärker, aber nicht, weil es sich
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