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Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume

Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume

Titel: Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
Autoren: Jennifer Benkau
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1
    D
em Nieselregen gelang es nicht, die Hitze von den Straßen zu waschen. Fauliger Geruch von verdunstendem Hafenwasser schwängerte die Luft. Der, den sie Nicholas nannten, betrat die alte Kirche. In ihrem Inneren war es angenehm frisch, und das durch die Mosaikfenster dringende Licht der Straßenlaternen tauchte alles in zarte Schatten bunter Farben.
    Mit einem spöttischen Lächeln ließ er seine Fingerspitzen durch das Weihwasserbecken gleiten und strich sich im Weitergehen mit der feuchten Hand das Haar aus dem Gesicht. Der Hall seiner Schritte wurde von der hohen, kuppelförmigen Decke zurückgeworfen. Der Priester sah auf und trat dem späten Kirchgänger sogleich entgegen. Erst jetzt kam Nicholas die Erkenntnis, warum er die Kirche aufgesucht hatte. Es war nicht der angenehmen Kühle wegen. Sein Inneres war hungrig und hatte ihn hergeführt.
    „Verzeihen Sie, aber ich wollte gerade abschließen“, sagte der Priester. „Kann ich Ihnen zuvor noch helfen?“
    Nicholas lachte leise. „Durchaus, das kannst du.“ Dieser junge und zudem gut aussehende Gottesdiener war alles, was er heute brauchte. „Mehr noch, Pfaffe. Du musst mir sogar helfen. Ich bin bedürftig.“
    Sofort bemerkte er die leichten Veränderungen im Gesicht des Geistlichen, dessen Stimme dünner wurde. „Sie haben etwas auf dem Herzen?“
    „Kann man so sagen.“
    „Ich nehme Ihnen gerne die Beichte ab, mein …“
    „Kein Interesse.“
    Nicholas verschränkte die Arme und blickte sein Opfer durchdringend an. Die Schweißtropfen auf der hohen Stirn waren nicht nur durch die Temperaturen verursacht. Sie rochen nach Nervosität.
    Köstlich.
    Der Mensch wich zurück, bis an die Stufen des Altarpodestes. Er spürte, dass etwas nicht stimmte. Das taten sie immer. Emotionen erfüllten die Kirche und verdrängten den Duft von gelöschten Kerzen und Weihrauch. Misstrauen, Angst und die Gewissheit, dass beides berechtigt war, breiteten sich aus. Nicholas sog den Geruch tief ein. Ein Cocktail seiner Lieblingsfrüchte.
    Steh still!
, befahl er mit seiner mentalen Stimme, die er im Kopf des Priesters laut werden ließ. Die Augen seines Opfers weiteten sich in Panik, aber er gehorchte. Ein schwacher Mensch. Unendlich schwach. Das machte es einfach – gab dem Dämon aber weniger Befriedigung.
    „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade“, begann der Priester stockend zu beten, „der Herr ist mit dir, du bist …“
    Amüsiert hob Nicholas eine Augenbraue. „Ein Ave Maria? Wie theatralisch.“
    „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.“
    Der Geistliche hob das Kreuz, das er um den Hals trug. Filigrane Linien schimmerten auf goldenem Grund und demonstrierten katholische Eitelkeit. Das Schmuckstück entlockte Nicholas ein kopfschüttelndes Grinsen.
    „Spar dir deine Predigt, Pfaffe. Es ist nicht mal Sonntag.“
    Erbärmlich, wie sie es immer wieder und mit allen Mitteln versuchten. Dieser Mensch hier konnte tun was er wollte. Nicht einmal eine Kalaschnikow mit Silberkugeln hätte ihm geholfen, auch wenn er damit eine schöne Schweinerei verursacht und Nicholas’ aktuellen Körper zerstört hätte. Ihn selbst jedoch nicht. Die armseligen Gebete waren vollkommen nutzlos.
    Komm her!
    Mit staksenden Schritten trat der Priester näher, immer noch sein Ave Maria wimmernd, obgleich die Stimme nachließ. Nicholas öffnete einladend die Arme.
    Komm! Du bist schwach. Komm her und lehn dich an meine Brust
.
    Wie ein verängstigtes Kind schmiegte sich der Geistliche an seinen Körper, fast, als täte er es freiwillig. „Will nicht sterben“, vernahm Nicholas zwischen den gehaspelten Gebeten.
    „Nicht? So wenig Vertrauen in deinen Gott?“ Sanft strich er mit den Händen durch das Haar seines Opfers, um sie in dessen Nacken ruhen zu lassen. „Auf dich wartet das Paradies. Oder hast du gar etwas auf dem Kerbholz?“
    Um die Furcht zu schüren, platzierte er eine Vision in den schwachen Geist: Eine Halluzination des Jüngsten Gerichts, das kein gutes Haar an dem braven Priester ließ. Im Takt zum Schlag des illusorischen Richterhammers zuckte der Mann in Nicholas’ Armen. Dass er nicht sterben würde, verriet Nicholas ihm nicht. Warum sollte er ihm die Angst nehmen, wenn Angst doch genau das war, was der Dämon heute schmecken wollte? Er seufzte leise, während er die Emotionen in sich aufnahm. Heiß und lebendig durchströmtensie den finsteren Schatten, den er in seiner menschlichen Hülle
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