Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut
Autoren: Julia Kroehn
Vom Netzwerk:
auszustrecken.
    Jene hatten all ihre Kraft verschleudert und waren schwach wie ihre Stimme. Grothusen hob an ihrer statt das Kind mitsamt dem Leinentuch hoch, barg es an seiner Brust und wich ihrem Blick aus.
    »Man muss die Toten wegschaffen«, befahl er streng. »Ich nehme das Kind! Und du nimmst Samuel! Bring ihn heim!«
    »Und dann?«, sie suchte seine Augen.
    Er verwehrte sich ihr.
    »Du bist es, die du dir deinen Mann erwählst!«, schnaubte er. »Jetzt musst du auch bei deiner Wahl bleiben! Da liegt er – dein Mann! Nun sei ihm treu – deinem Mann! Komm mir bloß nicht zu nahe! Denk nicht daran, mich anzufassen oder mir zu folgen! Ich will dich nicht mehr, Lena! Für mich bist du tot wie er!«
    Schroff drehte er sich von ihr fort, überhörte ihr Schluchzen und sah nicht mehr, wie sie kraftlos in sich zusammensank.
    Im Hinausgehen dachte er, dass es jetzt an der Zeit wäre, in den Süden zu reisen, auch wenn es dort nach Meer roch. Er wusste, dass er den Gestank von Fisch nie wieder fürchten musste. Beim Anblick von Samuels letztem Bild hatte er das Schlimmste gerochen und geschmeckt und gekostet, was es auf der Welt gab.
    Er barg das Bündel mit dem leblosen Kind unter der Kleidung und trat aufrecht den Staatsdienern entgegen, die im Dunkel der Nacht das Palais umstellt hatten, um einen gewissen Simon Grothusen zu fassen.
    »Ich bin Doktor Thomas Mohr«, erklärte Grothusen und machte eine unterwürfige Verbeugung. »Drinnen ist Schreckliches geschehen. Das Kind des Fabrikanten Bringsheim ist tot, und ebenso Samuel Alt. Simon Grothusen, den man im ganzen Lande sucht, hat ihn ermordet. Er kniet noch immer bei dem Toten, und seine Hände sind voller Blut.«
    Die Männer waren überfordert. Kurz richteten sie die Waffen auf, um ihn festzunehmen. Grothusen aber presste das Kind an sich, teilte mit seinem Blick die Menge und durchschritt sie.
    Sie verhafteten Doktor Mohr, da seine Hände noch in Samuels Wundmalen lagen, und als sich herausstellte, dass er nicht Grothusen war, war es zu spät, den anderen zu ergreifen. Die Erde schien ihn verschluckt zu haben.
    Beschämt von dem Irrtum und entsetzt über die Nachricht, die er Wilhelm Bringsheim würde überbringen müssen, entschied Bürgermeister Scheyrer, dass man den Mediziner als Schuldigen nehmen sollte, wo man ihn doch schon hätte. Es gäbe genügend Zeugen, die ihn der üblen Verbrechen zeihten, welche im Palais Hagenstein geschehen waren. Was sollte man sich länger damit befassen, dass man Simon Grothusen nicht hatte erwischen können und dass manch einer gar aussagte, nicht der Mediziner, sondern eine gewisse Lena hätte Samuel gemordet. Letztes konnte nur ein übles Gerücht sein. Diese Lena – so hatten die Staatsdiener mit einem Blick festgestellt – war ein dürres, buckliges, kraftloses Wesen, das nicht einmal gerade stehen konnte und niemals in der Lage gewesen wäre, einen erwachsenen Mann zu erschlagen.
    Nachdem sie Doktor Mohr inhaftiert hatten, suchten die Gendarmen das tote Kind, aber da Grothusen es gestohlen hatte, konnten sie es nicht finden. Eilig flohen sie aus dem Saal, und Samuels Schüler, die nicht am Ort des Unheils bleiben wollten, taten es ihnen gleich. Die greinende Susanna wurde in die Kutsche gehoben und zu ihrem Gatten gebracht. Jener würde der Öffentlichkeit nie erklären, woran sein Kind gestorben war. Er sollte mit Susanna weitere fünf zeugen, um das Fehlen dieses einen zu vertuschen.
    Zuletzt blieben nur einige Frauen zurück – und der tote Samuel.
    »Was willst du tun?«, fragte Johanna Küblach an Lena gewandt.
    Sie sprach kein Urteil darüber aus, dass Lena gemordet hatte, bekundete aber auch kein Mitleid. Samuel war jetzt Lenas Sache – so wie Grothusen es gesagt hatte.
    »Ich bringe ihn heim«, gehorchte sie dessen letztem Befehl.
    Hernach war sie alleine, denn niemand wollte ihr helfen.
    Auf sich gestellt mühte sie sich stundenlang mit dem Toten ab. Sie zerrte ihn an den Beinen aus dem Saal und wuchtete ihn in eine Kutsche. Der Körper war so lang, dass entweder Kopf oder Füße aus dem Wagen hingen, sobald sie den anderen Teil hineindrängte. Entkräftet versuchte sie sodann, das Pferd aufzuzäumen, und brauchte Stunden dafür. Das Vieh schmeckte die Verwesung und das Blut und die Exkremente, die auf Samuel eintrockneten, ging mehrmals wiehernd durch, ehe Lena es vor die Kutsche gespannt hatte, und weigerte sich schließlich zu laufen. Lena musste neben ihm hertrotten, es mit sich ziehen und jeden Schritt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher