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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut
Autoren: Julia Kroehn
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ertrotzen. Da sich die Tür der Kutsche hinter dem toten Samuel nicht hatte verschließen lassen, schlackerten seine Arme am Boden entlang. Als sie nach zwei Tagen den Gutshof Altenbach-Wolfsberg erreichten, waren die Fingerkuppen abgerieben.
    Bei ihrer Ankunft war es Nacht und die Luft noch immer regenfeucht. Lena schmeckte den vertrauten Gestank von Kuhmist und weinte das erste Mal, seit sie Samuel getötet hatte.
    Lange rührte sich nichts auf dem Gutshof. Lena musste klopfen und rufen, ehe sich von innen her etwas zu regen begann, das Tor geöffnet wurde und die Bewohner zusammenliefen. Dienstleute, Pächter und Häusler kamen und glotzten. Vom Lärm aufgeschreckt sahen auch Graf Maximilian im Schlafgewand, sein Sohn und dessen Gattin Veronika herunter, schließlich Gräfin Marie.
    Als sie sich versammelt hatten, tat Lena Kundschaft von Samuels Tod.
    »Samuel stinkt!«, rief sie ihnen entgegen. »Samuel stinkt nach Leichnam!«
    Zuerst begriffen sie nicht, was sie meinte. Dann sahen sie den Toten, dessen Fingerkuppen abgeschabt waren und dessen Augen schwarzen Löchern glichen. Keuchend zerrte ihn Lena aus der Kutsche. Seine Wunden waren aufgebläht, sein Körper verrenkt.
    Die Versammelten hoben Laternen und leuchteten auf sein weißes Gesicht.
    »Der Samuel stinkt nach Leichnam!«, wiederholte Lena und hörte zu weinen auf.
    »Großer Gott im Himmel!«, stieß Graf Maximilian beklommen hervor. Sein Gesicht war alt und faltig geworden in den letzten Jahren. Schnell schlug er ein Kreuzzeichen – man konnte nie wissen, welche Gefahr von einem Toten ausging.
    Maries glasiger Blick wurde neugierig. Sie trat zu dem Toten, um ihn genauer zu besehen. Dabei schrie oder heulte sie nicht, sondern nickte verständig in einem fort. Angewidert wandte der Graf sich ab, während einige der Mägde und Knechte zu lachen begannen.
    Lena zögerte. Sie war nicht sicher, ob es reichte, den Verstorbenen auf heimatlichen Boden zu bringen. Sie dachte sich, dass man ihn waschen müsse, und zugleich, dass ihr dieser Dienst nicht mehr zustünde.
    Veronika trat zu Lena hin, entsetzte sich nicht über den Anblick des Toten, sondern war entschlossen, seine Glieder zu ordnen. Nachdem sie das getan und Samuel umgedreht hatte, damit er mit dem Gesicht nach unten auf der Erde lag, war geklärt, dass er nun ihr gehörte und nicht mehr Lena. Er war Veronikas größter Besitz bisher, und er gab ihr die größte Macht, über die sie jemals verfügt hatte, seitdem sie vor Andreas gestanden und gesagt hatte: »Ihr seid des Teufels!«
    Sie als Einzige scheute sich vor Samuel nicht. Lena ergab sich Veronika, die anordnete, dass der Pfarrer herbeigerufen werden sollte. Er möge die Kapelle zur Einsegnung öffnen. Man solle für die nächsten Tage das Begräbnis und den Totenschmaus vorbereiten.
    Veronika hatte noch nie so schroff Befehle erteilt, aber ihr gehorchten alle, und selbst der alte Graf nickte.
    Veronika jedoch tat noch mehr als zu befehlen. Sie beugte sich über den toten Samuel, raffte ihren Rock unzüchtig hoch, öffnete das Band ihres Unterrocks und begann, sich vor allen Leuten zu entkleiden. Die Menge raunte, unwissend, was sie beabsichtigte. Sie zerriss den Unterrock, der nach ihrem Schweiß und ihrer Scham roch, um ihn als Leichentuch über den toten Samuel zu stülpen.
    »Geh mir aus dem Weg!«, zischte sie Lena an.
    Lena wich geräuschlos zur Seite. Samuel war weg. Es war nichts mehr von ihm zu sehen als die Umrisse seines totenstarren Körpers unter einem zum Leichentuch zerrissenen Unterrock.
    Veronika lächelte Lena böse zu.
    Die Letzten werden die Ersten sein. Gottes Mühlen malen langsam, aber trefflich fein. Hochmut kommt vor dem Fall.
    Es hatte sich herausgestellt, dass Lenas Stärke und Aufbegehren sich verschleudert hatten, ohne dass am Ende etwas Habhafteres herauskam als ein stinkender Toter.
    Veronika war mächtig in dieser Nacht und mit ihr Marie. Vor dem Toten entschied sie, dass es Frauensache war, den Gefallenen einzuscharren, vergaß, dass sie keinen Verstand mehr hatte, und mischte sich ein, als sie darangingen, Samuel zu begraben.
    Hochwürden Greifenthal hatte zunächst nichts dagegen einzuwenden, dass man Samuel aufbahrte und Gebete sprach, die dem Heil seiner Seele dienten. Doch als man überlegte, ob ihm ein Platz im Familiengrab gewährt werden sollte, stellte sich der Geistliche stur. Samuel habe weder ein gottgefälliges Leben geführt noch am Totenbett seine Sünden bereut und gebeichtet. Die Umstände
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