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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut
Autoren: Julia Kroehn
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stand. In Cronberg hatte er Wein getrunken – hernach nie wieder. Wasser und Brot waren das Einzige, was er in all den Jahren zu sich genommen hatte – und selbst das nur mit Widerwillen.
    Jetzt trank er – zwar langsam und vorsichtig, aber Zug um Zug, bis seine bleichen Wangen mit roten Flecken übersät waren.
    »Soll denn in dieser Nacht tatsächlich ein großes Bild entstehen«, meinte er, »will ich mich mit Bedacht darauf vorbereiten.«
    Grothusen kämpfte mit seinem Zorn. Um ihn niederzukämpfen, ließ er Essen und noch mehr Wein auftragen.
    »Denkst du an unsere Cronberger Zeiten, wo es nach der Arbeit Feiern hieß?«, fragte Samuel belustigt.
    Grothusen zuckte mit den Schultern. Kurz und stark waren die Bilder, die vor ihm aufzogen und ihn an seine Zeit als Galerist in Frankfurt denken ließen.
    »Du hättest dich damals nicht gegen mich stellen dürfen«, murmelte er, »es wäre besser ausgegangen.«
    Zitternd befahl er zuletzt, im Kamin ein Feuer zu machen. Der Frost des Winters schien wiederzukehren – vielleicht war er auch noch gar nicht aus den Mauern geflohen.
    Immer noch wurde Susannas Hand gehalten. Leicht flatterte sie, wenn eine Wehe sie überkam. Sie presste nicht, sondern ertrug das Stechen, Krämpfen und Gezerre in ihrem Leib wie in einem schlammigen Sumpf. Er war weich, warm und undurchschaubar. Die tröstenden Worte hörte sie nicht. Auch Lena war – durch die Stunden treibend – taub geworden. Sie fühlte, was in dem Raum geschah, aber sie vernahm es nicht. Der einzige Mucks, der schließlich an ihr Ohr drang, kam von dem Ungeborenen, das noch in Susanna steckte.
    Zunächst lauschte sie, ohne sich dafür zu entscheiden. Der Ruf, der da sein Kommen anküdigte, war leise. Nachlässig darauf achtend, begann sie erst nach einer Weile das neue Leben zu wittern – wie einst, vor vielen Jahren, lange bevor sie sich für Samuel entschieden und man sie stets geholt hatte, wenn das Gebären anstand. Damals sagte man ihrem Blick nach, Ungeborene auf die Welt zu holen – ganz gleich, ob es Tiere oder Menschen waren. Sie selbst hatte die Macht nicht begreifen können, die in diesem Blick lag. Aber sie fühlte – damals wie jetzt -, wie sich etwas ankündigte, das noch nicht vom Streit und Hass und Zerwürfnis der Welt wusste, dessen Zukunft blank und sauber war und das sie zur Verbündeten gegen eine Mutter machte, welche ihr Kind mehr ausscheiden denn gebären wollte.
    Lena lauschte und döste. Halb schlafend wähnte sie sich in die zerknitterte Haut des Säuglings schlüpfen. Sie fühlte, wie sie sich mit dem Kind vor der blutenden Schwärze, in der es steckte, fürchtete, wie sie keinen Atem fand in der Enge des Geburtskanals, wie sie nach draußen drängte und sich zugleich angstvoll im Inneren festbiss.
    Sie rang nach Luft. Kurzzeitig kam es zum Wettstreit zwischen ihr und dem Kind. Lena wollte endlich schreien, das Kind sich jedoch nicht in die Welt schieben lassen.
    Es war ein ungleicher Kampf, dem Kind blieben wenig Chancen. Ebenso wie die Mutter es loswerden und Lena mit ihm schreien wollte, ermutigten die anderen Frauen die Stöhnende, endlich zu pressen und sich mit dem Akt des Gebarens zu befassen.
    Lena japste und starrte auf Susanna. Es wurde eng um das Kind. Sein Kopf wurde sichtbar, seine ersten Härchen.
    Immer noch verbiss sich Susanna jedes Stöhnen. Ruckartig wollte sie das Kind aus sich herausschütteln, das so hartnäckig in ihr hocken blieb, zwängte es gleichzeitig ein und aus sich heraus.
    »Ihr müsst pressen!«, rief eine der Frauen. »Presst! Sonst wird es sterben!«
    Das Kleine half der gleichgültigen Mutter nicht. Lena rang weiter nach Luft. Tief und tiefer verkroch sie sich in der Haut des Kindes, um es in die Welt zu treiben und mit ihm gegen die Mutter anzuschreien. Sie erlaubte ihm nicht, dass es in einer Höhle hocken bliebe, die nicht wärmte, sondern es ersticken würde.
    Du musst schreien, befahl sie still. Du musst schreien.
    Das Ungeborene raunzte ihr sein letztes Zögern zu. Dann entschied es, Lena zu gehorchen.
    »Es kommt!«, stellte eine der Frauen fest. »Seht nur, es kommt!«
    Stückweise drängte sich Lena mit dem Kind ins Freie. Sie nahm trotz Müdigkeit alle Kraft zusammen.
    Zuletzt lag das Kind endlich zwischen Susannas Beinen – als rotgesichtige Nachricht, dass da etwas lebte und Fürsorge verlangte. Susanna verschloss sich der Nachricht. Lautlos wandte sie sich ab und drückte die Augenlider zu.
    »Warum schreit es nicht?«, fragte eine der
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