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Die geheime Waffe

Die geheime Waffe

Titel: Die geheime Waffe
Autoren: Nicola Marni
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EINS
    D as Tor schwang auf, und ein Mann trat heraus. Das schmale Gesicht, das von dunklen Augen über einem langen, mit weißen Strähnen durchsetzten Vollbart beherrscht wurde, glänzte zufrieden, verriet aber auch Verachtung und eine gewisse Schadenfreude.
    Bekleidet war der Mann mit einem langen, hemdartigen Gewand und einem kaum auftragenden Turban aus dunklem Tuch. Vor der hohen Klinkermauer, die oben mit Stacheldraht gesichert war, wirkte er wie ein Fremdkörper, und er schien es durchaus darauf anzulegen, seine Andersartigkeit herauszustreichen.
    Mehrere Fernsehteams hatten ihre Übertragungswagen auf dem gepflasterten Vorplatz geparkt und filmten die versammelten Anhänger des Bärtigen, der diesen unermüdlich gepredigt hatte, die westliche Welt, in der sie nun lebten, sei nicht die ihre.
    Nachdem sich der Imam, der sich Asad al Wahid nannte, in Positur gestellt hatte, hob er die Arme, um einige Männer zu begrüßen, die ebenso wie er lange Hemden und Vollbärte trugen. »Die Gerechtigkeit Allahs hat über die Schlechtigkeit der Ungläubigen gesiegt!«, rief er.
    Seine Gefolgsleute skandierten seinen Namen und jubelten ihm zu. Bis vor wenigen Tagen hatten sie befürchtet, die Justiz der Ungläubigen werde ihren Anführer für lange Zeit, möglicherweise sogar für immer, ins Gefängnis stecken. Doch ihrem Idol war es gelungen, alle Beweise des Staatsanwalts auszuhebeln und die Schuld, die man ihm hatte zusprechen wollen, weit von sich zu weisen. Nun war Asad al Wahid wieder frei, und dieser Auftritt unterstrich, dass er den Sieg nutzen wollte, um seinen
Einfluss unter den Muslimen dieses Landes zu vergrößern. Auch war das Gerücht aufgekommen, er plane, treue Männer um sich zu scharen, die verhindern sollten, dass ihn noch einmal ein ungläubiger Polizist packen und in eine schmutzige Zelle sperren könne. Davon ließ er jedoch nichts verlauten, sondern predigte das, was seine Anhänger hören wollten.
    Obwohl Asad al Wahid kein Mikrophon hatte, hallten seine Worte weit über den Platz. Er kannte die Macht seiner Stimme und wusste, dass alles, was er sagte, noch am selben Tag über Al Jazeera und andere arabische Fernsehsender in allen Winkeln der islamischen Länder zu hören sein würde. Das würde sein Ansehen weiter erhöhen und ihm Spenden von reichen, frommen Männern einbringen, die ihre Glaubensbrüder in diesem kalten, fremden Land zu unterstützen wünschten.
    »Sie glaubten, mich in ihrem Kerker brechen zu können, doch ich bin stärker als je zuvor!« Al Wahid steigerte die Lautstärke, um die Jubelrufe seiner Männer zu übertönen. Doch als er weitersprechen wollte, zuckte er wie unter einem Schlag zusammen. Die Stimme versagte, und auf dem Gesicht erschien der Ausdruck überraschten Staunens. Mit einer seltsam unbeholfenen Bewegung senkte er den Kopf und sah das kleine, schwarze Loch in seinem Kaftan, dessen Stoff sich rot färbte. Ohne einen einzigen Laut brach er zusammen.

ZWEI
    D ie letzte Sequenz noch mal abspielen!«, drängte Torsten Renk ungeduldig.
    Petra Waitl zuckte die Schultern. Mehr als arbeiten konnte sie nicht, auch wenn Torsten anzunehmen schien, sie könne Wunder wirken. Ihre Finger flitzten über die Tastatur und brachten die letzte Szene noch einmal auf den Bildschirm.

    Als das Einschussloch in Al Wahids Brust erneut zu sehen war, rief Torsten: »Halt, ein wenig zurück!«
    Petra ließ die Aufnahme rückwärts laufen. Als der Kaftan wieder unversehrt war, stoppte sie und startete die Aufzeichnung erneut.
    »Langsamer! Wir müssen den Zeitpunkt fixieren, in dem die Kugel den Kerl trifft.« Torsten beugte sich über Petras Schulter und starrte so angestrengt auf den Bildschirm, als könne er ihn kraft seines Willens steuern.
    »Hier!« Petra hielt die Aufzeichnung an und zeigte auf die Stelle, an der ein kleiner, dunkler Fleck auf Al Wahids Hemd zu erkennen war.
    »Sieht aus wie ein Fliegenschiss«, sagte sie in dem lahmen Versuch, Torstens Anspannung durch einen Scherz zu mindern.
    Der ging gar nicht darauf ein. »Fahr die Aufnahme noch eine Zehntelsekunde zurück!«
    Petra tat ihm den Gefallen und hörte Torsten im nächsten Moment durch die Zähne pfeifen. »Dachte ich es mir doch. Schau genau hin!«
    »Was meinst du?« Petra sah ihn verwirrt an. Erst als sie seinem ungeduldigen Wink folgend die Aufzeichnung vergrößerte, bis nur noch der Oberkörper des Mannes zu sehen war, entdeckte sie einen schwachen, blauen Lichtpunkt, der exakt die Stelle markierte, auf der
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