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Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches

Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches

Titel: Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches
Autoren: Matthew Skelton
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brummte es. Fliegen zogen ihre schläfrigen Kreise, und Bienen summten um ihre Körbe. An die Deckenbalken des Krankenraums hatte man Büschel von getrockneten Blumen gehängt, um damit den Geruch nach Tod und Krankheit zu tilgen.
    Theodoric sah sich vorsichtig um. Ich ahnte, dass ihm eine Frage auf der Zunge brannte, aber er schien unsicher, wie und ob er sie stellen sollte. Trotz meiner schmerzenden Glieder setzte ich mich auf. Ich verzog das Gesicht vor Anstrengung.
    »Du kannst lesen?«, sagte er endlich, nachdem er sich überzeugt hatte, dass niemand in der Nähe war. Ich nickte.
    »Und schreiben?«, fragte er noch unsicherer. Er blickte kurz zum Fenster, durch das wir schwarz gekleidete Mönche bei der Gartenarbeit sehen konnten. Wie Krähen hüpften sie von einer Pflanze zur andern. Theodoric hatte beide Fragen auf Lateinisch gestellt, weil er inzwischen wusste, dass ich das verstand.
    Wieder nickte ich.
    »Aber das hier«, sagte er, zeigte auf mein Buch und strich über die Buchstaben auf dem Einband. »Das ist eine ganz besondere Art von Buch. Du bist mit einem geheimen Wissen gesegnet, stimmt das?«
    Ich lächelte, zu müde und zu kraftlos, um es ihm zu erklären. Und außerdem - wer würde meine Geschichte glauben?
    Theodoric schien sich nicht an meinem Schweigen zu stoßen. »Du brauchst Ruhe«, sagte er schließlich. Dann, als draußen eine einsame Glocke zum Gebet rief, stand er auf und ging.

    In dem Bett, in das sie mich gelegt hatten, fühlte ich mich wie auf einer Wolke. Ich hätte für immer so liegen bleiben können. Es hatte sauber gewaschene Laken und war mit Lavendel und Rainfarn besprenkelt, um die Flöhe in Schach zu halten; das Stroh in der Matratze duftete so frisch, als wäre es gerade gedroschen worden. Ich machte mir keine Gedanken darüber, dass dieses Bett mein Totenbett sein könnte. Nach den Gräben und Feldrainen, in denen ich geschlafen hatte, war es der reinste Himmel.
    Tagelang schwebte ich zwischen Bewusstlosigkeit und halb wachem Dämmerzustand. Jedes Mal, wenn ich aufwachte, saß Theodoric neben mir und sah mich aufmerksam an wie ein treuer Hund. Er behandelte die Frostbeulen an meinen Füßen mit einem Breiumschlag aus Majoran, er bereitete bittersüße Arzneien zu und gab sie mir zu trinken. Zuerst trieben mir Fieberwickel und Zitronenmelisse den Schweiß in Strömen aus dem Körper, aber dann kehrte langsam mein Appetit zurück, und ich kam wieder ein wenig zu Kräften. Bald konnte ich mich ohne Schmerzen aufsetzen, und ich fing an, mich für meine Umgebung zu interessieren.
    Am Ende des Bettes lagen meine Kleider in einem armseligen Haufen auf dem Boden - eine schmutzige Haut, die ich abgestreift hatte wie ein vergangenes Leben. Der gelbe Kittel, den Christina mit so viel Liebe für mich genäht hatte, war nun nicht viel mehr als ein fadenscheiniges Leichentuch. Statt meiner Sachen trug ich ein Hemd aus weißem Stoff mit Ärmeln, viel zu weit für meine mageren Arme. Sie bauschten sich an meinen Schultern wie Flügel.
    Um mich zum Lachen zu bringen, stülpte sich Theodoric die lange gelbe Kapuze über, die ich bei meiner Ankunft getragen hatte. Sie saß wie ein schmutziger Socken auf seinem Kopf, wie eine kleine Narrenkappe, und ich musste tatsächlich lachen. Wenn auch die anderen Mönche ihr Schweigegelübde nicht immer strikt beachteten, so hielten sie sich doch in respektvoller Entfernung zu uns und bewegten sich still und gemessen. Theodoric dagegen konnte überhaupt nicht lange schweigen oder sich still verhalten. Zu viele Fragen lagen ihm auf der Zunge.
    Woher war ich gekommen? Warum hatte ich mich ausgerechnet nach Oxford gewandt? Was war das Besondere an den beiden Büchern, die ich bei mir trug?
    Ich tat mein Bestes, um seine Neugier durch Lächeln und Nicken zu befriedigen, aber ich sagte nichts. Er vertraute darauf, dass ich sprechen würde, sobald die Zeit dazu gekommen sei.
    Als ich in den Krankenraum gebracht und von den Mönchen ausgekleidet worden war, hatte das Buch auf meinem Rücken zahllose Vermutungen in Gang gesetzt. Theodoric erzählte mir, dass Ignatius sogar Gerüchte schürte, ich habe den Teufel auf meinen Schultern getragen. Gewiss sei das versiegelte Buch ein Zeichen meines gottlosen Herzens. Falls aber mein ungewöhnliches Gepäck auch Theodoric beunruhigte, ließ er sich nichts davon anmerken. Im Gegenteil, er beruhigte mich, dass beide Bücher sicher verwahrt in einer Truhe neben meinem Bett lägen. Einen Schlüssel dazu hatte er, den
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