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Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches

Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches

Titel: Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches
Autoren: Matthew Skelton
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mir war Morast und Stroh, und über mir spannte sich der Himmel wie ein unmöglich blauer Ozean. Meine Arme lagen wie Fremdkörper neben mir - schlaff und nutzlos wie die Glieder eines Toten.
    Undeutlich erkannte ich, dass mich ein Fremder auf einem Karren durch ein Marktgewühl beförderte. Jedes Mal, wenn die Räder über einen Stein holperten, hüpfte mein Kopf schmerzvoll auf und ab, und zweimal musste ich mich übergeben.
    Ein rundes, besorgtes Gesicht sah blinzelnd auf mich herab. »Hab keine Angst«, sagte eine sanfte Stimme - erst in Englisch, was ich nicht verstand, dann auf Latein, was ich verstand. »Du bist bei mir in Sicherheit, Endymion.«
    Ich versuchte nachzudenken. Woher kannte er meinen Namen?
    Dann, als er meine Verwirrung bemerkte, lächelte der Mann und erklärte: »Ich heiße Theodoric. Ich bringe dich nach St.Jerome's.«
    Sein Haar stand ihm wirr um den Kopf wie ein Heiligenschein, und sein Körper war in ein langes schwarzes Gewand gehüllt. Seine Hände waren glatt und weiß wie Pergament, aber übersät von Tintenspritzern - wie die Hände meines Meisters.
    Einen Augenblick fürchtete ich, ein Engel sei herabgestiegen, um mich in den Himmel zu bringen, und ich versuchte mich zu befreien. Ich hatte meine Aufgabe noch nicht erfüllt. Auf meinem Rücken spürte ich das Buch aus Drachenhaut und die Riemen, die mir in die Schultern schnitten. Aber so sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte mich nicht bewegen. Nicht einmal aufrichten konnte ich mich.
    Die Welt schwankte ekelerregend um mich herum, und mein Kopf rollte willenlos auf dem dünnen Strohbelag des Karrens hin und her.
    »Schneller, Methusalem!«, trieb Theodoric den störrischen Esel an, der den Karren zog und der sich mit blechernem Geschrei über die zusätzliche Last beschwerte.
    Und schon versank wieder alles um mich her in Dunkelheit.

    Ich träumte, dass ich von einem Löwen verschlungen wurde. Sein Maul war aufgerissen bis an die Schultern, die Zähne waren zu einem lautlosen Gebrüll gebleckt, aber zum Glück konnten sie nicht zubeißen. Durch dieses steinerne Löwenmaul gelangte ich in einen Raum voller Bücher. An den Wänden flackerten Kerzen, und der ganze Raum war durch Pulte und große Truhen in einzelne Alkoven unterteilt. Still war es hier, nur das Kratzen von Schreibfedern und das Rascheln von Pergament war zu hören.
    Verschlafen sah ich mich um. Schwarz gekleidete Gestalten standen über die Pulte gebeugt. Manche ließen in wunderschöner Schrift die Tinte aus ihren Federn fließen, andere verzierten Großbuchstaben mit Blattgold, wieder andere tauchten ihre Pinsel in Muschelschalen mit zerstoßenem Purpurrot und bemalten die Seitenränder mit Blumen.
    Plötzlich begriff ich, woher die Spritzer auf Theodorics Händen stammten. Er war ein Schreiber, ein Buchmaler. Er hatte mich in eines der Kloster-Colleges von Oxford gebracht.
    Wieder regte sich das Buch aus Drachenhaut auf meinem Rücken, ich drehte und wand mich, ich wollte herunter. Aber Theodoric ließ mich nicht los. Er trug mich auf seinen Armen zur vorderen Seite des Raums, wo auf einem großen thronartigen Sessel der Abt des Klosters saß, ein kleiner weißhaariger Mann. Er hatte die Augen geschlossen und ließ, tief ins Gebet versunken, die Perlen eines Rosenkranzes durch seine Finger gleiten.
    Neben ihm saß ein alter Bibliothekar — seine Haut sah aus wie geschmolzenes Wachs - und las ihm aus einem kleinen Buch vor. Leise zischelnd sprach er die Worte der Psalmen vor sich hin und verfolgte die Zeilen mit dem Finger. Plötzlich hielt er inne. Eins seiner Augen war milchig blau und rollte beängstigend hin und her, das andere, klar wie der Tag, musterte mich scharf.
    Nervös wich ich dem Blick aus. Durch das Fenster konnte ich in einen umschlossenen Garten sehen. Ein junger Baum stand darin, und seine hellgrünen Blätter zitterten im Wind.
    Ich hatte Glück: Nach einem einzigen Blick auf meinen Zustand bekreuzigte sich der Abt und nahm sich meiner an. Er schien trotz seines wirr abstehenden Haars nicht von abweisender Natur zu sein. Er legte mir die Hand auf die Stirn und untersuchte mich nach Krankheitszeichen. Dann, ohne auf den Protest des alten Bibliothekars Ignatius zu hören, ordnete er an, dass mich Theodoric zum Krankenraum bringen solle.
    Worte waren nicht notwendig. Sie verständigten sich mit einfachen Handbewegungen.
    Theodoric aber rührte sich nicht von der Stelle, sondern lenkte die Aufmerksamkeit des Abtes auf meine lederne Werkzeugtasche,
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