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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul
Autoren: Achim Wohlgethan
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sinnvollen Job im zivilen Bereich sehnte. Ich hatte keine Lust, mein ganzes Leben lang in den Krisengebieten der Welt herumzuturnen, ständig auf dem Sprung zu sein und immer in Deckung gehen zu müssen, weil ich permanent in der Schusslinie war. Es war zwar das, wofür ich perfekt ausgebildet worden war. Aber ich hatte keine Lust mehr darauf und sehnte mich nach einer anderen, ruhigeren Existenz. Bei allem, was ich privat oder gesundheitlich verloren habe, was ich dienstlich gesehen oder getan habe, fragte ich mich immer öfter: War es das wert?
     
    Doch das war alles Zukunftsmusik, als ich vor dem Gruppenführer meines Zuges stand und mich aus Kabul zurückmeldete. Wie ich es von der Bundeswehr gewohnt war, stellte er mir eine Frage, die typisch für die Bürokratie in diesem Laden war: »Wie viele Freifallsprünge haben Sie dieses Jahr schon gemacht?«, wollte er wissen. Vier, sagte ich ihm, und ahnte schon, worauf das hinauslaufen würde. Pro Jahr muss man nämlich acht Freifallsprünge und mindestens einen automatischen Sprung nachweisen, um die Lizenz zu erhalten. Natürlich plante er mich auch umgehend bei den nächsten Sprungdiensten ein. »Das Springen hat bei uns größte Priorität. Sie müssen schnellstmöglich die restlichen vier Freifallsprünge und den automatischen Sprung nachholen.« Ich erwiderte nur, dass ich noch ein paar Tage Urlaub bräuchte, um etwas zu regeln, und dann zur Verfügung stünde. Er nickte und entließ mich. Ich ging zurück zu Spieß Reichert, um meinen Urlaubsantrag einzureichen, und verließ die Kaserne. Die nächsten zwei Wochen wollte ich versuchen, wieder definitiv in Deutschland anzukommen:
    Die restlichen Tage bis zum Wochenende hockte ich in Monis Wohnung in Oldenburg und kämpfte gegen das schwarze Loch. Ich schaffte es höchstens bis zum nächsten Kiosk, um Zigaretten und eine Zeitung zur Wohnungssuche zu kaufen. Zwischendurch riefen ein paar meiner Kameraden an und fragten, ob ich am Wochenende mit in eine Disco kommen wolle. Ich sagte zu. Ein bisschen Abwechslung könnte nicht schaden, dachte ich.
    Am Freitagabend holten sie mich ab und wir fuhren los. Unsere erste Station war eine Cocktailbar. Schon nach zwei Drinks war ich so besoffen, dass ich kaum mehr stehen konnte. Ich vertrug wirklich nicht mehr viel. Weil ich kein Spielverderber sein wollte, gingen wir als Nächstes in eine Disco, das »La Cara«. Im Gedränge zwischen den vielen fremden Leuten mit unheimlich viel Körperkontakt fühlte ich mich überhaupt nicht wohl. Ziemlich angespannt erreichte ich die Bar und postierte mich so, dass sich niemand hinter mich stellen konnte und ich den gesamten Laden im Blick hatte. So hielt ich mich an meinem Bier fest und guckte mich nach »verdächtigen« Personen um. Meine Kameraden merkten, wie unwohl ich mich fühlte, und schirmten mich ab. Aber das nutzte auf Dauer auch nix, weshalb ich das Experiment abbrach. »Jungs, ich muss raus aus dem Laden.« Das Geschiebe und die vielen Leute auf engstem Raum waren einfach zu viel für mich. Meine Freunde nickten verständnisvoll und winkten beschwichtigend ab, als ich mich für den schnellen Aufbruch entschuldigte.
    Wir beschlossen, stattdessen etwas essen zu gehen, und steuerten eine Dönerbude an. Als ich bestellte, machte mich einer der anderen Gäste doof von der Seite an, weil ihm wohl unsere kahlrasierten Köpfe nicht gefielen. Das brachte das Fass zum Überlaufen und ein wildes Rumgeschubse begann. Meine Kameraden packten mich und zogen mich auf die Straße. Ernüchtert stand ich da und konnte nur den Kopf darüber schütteln, dass ich mich so hatte provozieren lassen. Ich war erschreckend dünnhäutig geworden.
    Ich wollte nur noch weg aus Oldenburg. Am nächsten Morgen ging ich zum Bahnhof und kaufte mir für Sonntag ein Bahnticket zu meinen Eltern. Meine Mutter freute sich. »Wie schön, dass du endlich kommst, Achim! Ich hole dich am Bahnhof ab.«
    Die Fahrt nach Wolfsburg verlief ruhig und angenehm, ich hatte fast den gesamten Großraumwagen für mich alleine. Am Bahnhof angekommen, sah ich schon meine Mutter mit strahlendem Gesicht auf mich zukommen. Doch plötzlich stoppte sie und sah mich von oben bis unten an. Ich stand vor ihr mit fast zwanzig Kilo weniger als zuvor, hatte hängende Schultern und einen gehetzten Blick. Kein schöner Anblick für jemanden, der einen so liebt, wie meine Mutter es tut.
    Ich kannte sie als sehr toughe Frau, die jedes Problem sofort anging und sich durch nichts bei der Lösung
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