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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul
Autoren: Achim Wohlgethan
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den Leinen – und endlich hörte ich das charakteristische leise Knallen, wenn sich so ein Schirm entfaltet. Mit wild klopfendem Herzen sank ich hinunter und dachte: Herzlich willkommen zu Hause! Herzlich willkommen in der Bürokratie!
    Hauptsache, ich hatte die Sprünge wie geplant und befohlen an genau diesem Tag absolviert. Der normale Bundeswehralltag hatte mich wieder. An ein Gespräch mit dem Bataillonskommandeur kann ich mich noch sehr gut erinnern. Dies fand ein paar Tage nach meinen Sprüngen statt. Wir saßen in seinem Büro. »Und, wie fühlen Sie sich, Wohlgethan? Jetzt, nach ein paar Tagen Alltag im Gegensatz zu Afghanistan?« Daraufhin konnte ich nur gelassen erwidern: »Herr Oberstleutnant, vor ein paar Wochen habe ich in der ›Champions-League‹ gespielt. Jetzt bin ich wieder in der Kreisklasse!«
    Während der nächsten Wochen sickerte durch immer weitere Heimkehrer aus Afghanistan durch, was ich dort gemacht hatte und mit wem. Das schien einigen der Soldaten nicht ganz geheuer zu sein, jedenfalls mieden mich etliche von ihnen. Ich nahm das hin und hielt weiter schön meinen Mund. Nicht um mich noch interessanter zu machen – sondern aus einem einfachen Grund: Es war mir so was von egal, was die anderen über mich dachten, erzählten oder zu wissen glaubten. Ich sah keine Veranlassung, irgendetwas aufzuklären oder zu erklären. Sollten sie doch glauben, was sie wollten.
    Mit der Zeit kam ich immer besser zurecht und näherte mich immer mehr einem normalen, gesunden Level. Nach etwa fünf Monaten war ich über den Berg. Ich erfreute mich an den satten grünen Wiesen und dem Geruch von frisch gemähtem Gras. Auch Rasenflächen konnte ich wieder betreten, ohne dass mir der Schweiß ausbrach, weil ich die Minengefahr fürchtete. Menschenaufläufe oder Gedränge stellten für mich nur noch insoweit ein Problem dar, als sie mich an meinem Weiterkommen hinderten. Ganz wichtig, ich begann mich wieder für das »schöne Geschlecht« zu interessieren. Sehr lange nach meiner Rückkehr hatte ich keiner Frau hinterhergesehen. Sie konnte noch so schön sein – ich hatte nicht mal das Bedürfnis nach einem Flirt.
    Wenn ich mich auf eine Frau eingelassen hätte, hätte ich ihr ja zumindest von meinem Beruf erzählen müssen. Und dabei wäre unweigerlich auch irgendwann meine Zeit in Afghanistan zur Sprache gekommen. Dem wollte ich mich nicht aussetzen.
    Nun, mit genügend Abstand und meiner wiedergewonnenen Gelassenheit, kann ich sagen, dass mich der Einsatz sehr stark veränderte. Er gewährte mir einen sehr tiefen und ausgiebigen Blick über den sprichwörtlichen Tellerrand, der mir eines klarmachte: Uns geht es gut. Mehr als das: Uns Deutschen, Österreichern, Franzosen geht es fantastisch. Im Gegensatz zu den Menschen »dort unten« leben wir Europäer in einem Schlaraffenland. Während sich hier so mancher tagelang mit dem »Problem« herumquält, welches neue Auto mit welcher Ausstattung er sich kauft, stellt man sich in Afghanistan die Frage: »Was essen wir heute? Und wo bekommen wir es her?« Ich habe in diesen sechs Monaten einen tiefen Respekt vor den Menschen in Afghanistan gewonnen und kann nur hoffen, dass sich dort ein dauerhafter und vor allem stabiler Frieden etabliert. Noch ist dieses Land allerdings weit davon entfernt. Die Koranschüler erstarken immer mehr und setzen im Süden des Landes bereits ganze Einheiten, nicht mehr Einzeltäter oder kleine Trupps, gegen die Koalitionstruppen der OEF, aber auch der ISAF ein. Jeden Tag werden ISAF-Soldaten in Kampfhandlungen verwickelt, mehr und mehr Kameraden kehren in Särgen nach Hause zurück. Auch im ach so ruhigen Norden des Landes mehren sich Attentate, gerade auf deutsche Truppen. Die Taliban unterscheiden nicht zwischen den friedenssichernden ISAF-Truppen und den Terroristen jagenden Spezialeinheiten der »Operation Enduring Freedom« Sie unterscheiden nur zwischen Gläubigen und Ungläubigen. Bis zu Frieden und Demokratie in Afghanistan ist es noch ein weiter, blutiger Weg.
     
    Gleißendes Sonnenlicht fällt durch die Ladeluke der Transportmaschine C-160 Transall. Geblendet halte ich meine Hand vor die Augen und verlasse die Maschine. Schon wieder dieser süßliche Geruch und zu viel Staub, der sich auf meine Atemwege legt. Überall um mich herum liegen abgeschossene Flugzeug- und gepanzerte Fahrzeugwracks. Ich bin Angehöriger der deutschen Vorauskräfte, habe eine Wüstentarnuniform an und diesmal mein Sturmgewehr in der Hand. Aber keine
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