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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul
Autoren: Achim Wohlgethan
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stockte fast der Atem. Es war mein Teamführer aus Kabul! Fast schluchzend konnte ich nur einen Satz immer und immer wieder sagen: »Ich will zurück! Ich will zurück!« Ich kam mir vor wie jemand, der die letzten zwanzig Jahre seines Lebens in Einzelhaft verbracht hatte und nun begnadigt worden war. Trotzdem sickerte langsam bei mir durch, dass ich gerade überreagierte. Mein Teamführer verstand, was mit mir los war, und versuchte, mich auf den Teppich zu holen. »Bleib cool«, riet er mir, »das ist am Anfang ganz normal. Ich hab schon ein paar Einsätze wie diesen auf dem Buckel und weiß sehr gut, wie es einem danach geht. Besonders dann, wenn die Unterschiede zwischen Einsatzland und Heimat so groß sind.« Ich stand da wie ein begossener Pudel und konnte darauf nichts erwidern.
    Mit den nächsten Tagen wuchs meine Unzufriedenheit. Ein wenig halfen mir meine Gespräche mit Moni. Zwar erzählte ich ihr nur einen kleinen Teil meiner Erlebnisse. Aber es tat gut, dass sie einfach nur zuhörte und keine klugen Ratschläge gab. Ihr offenes Ohr trug dazu bei, dass ich mich ein kleines bisschen besser fühlte. Moni war beeindruckt, was sie alles zu hören bekam. »Mir war nicht klar, was in Afghanistan wirklich passiert«, meinte sie. »In der Presse hieß es immer, es sei alles normal und es gäbe keine Gefahr für die Soldaten«, schilderte sie mir ihren vorherigen Kenntnisstand. Mir fielen wieder die im Camp veranstalteten »Monkey-Shows« ein. Die PR-Maschine hatte also funktioniert.
    Es begann eine sehr einsame Zeit. Über meine Erfahrungen und Anpassungsschwierigkeiten konnte ich mit niemandem reden. Weder mein Freundeskreis noch meine Kameraden in der Kaserne überblickten die Situation. Viele machten Scherze, die mich bis ins Mark trafen. Ein Standardspruch war: »Na, schönen Urlaub da unten gehabt?«, oder: »Wann holst du dir denn dein neues Auto von dem Urlaubsgeld, das du da unten bekommen hast?« Afghanistan war immer »da unten«, was mich maßlos ärgerte. Diese westliche Arroganz und Überheblichkeit gingen mir auf den Wecker. Auch wenn einige nur einen doofen Scherz machen wollten, trafen mich diese Sprüche jedes Mal sehr hart, und ich verbarg meinen Unwillen mit einem gequälten Lächeln. Vor allem den Kameraden hätte ich liebend gerne von den Menschen »da unten« berichtet und klargemacht, dass sie, diese vermeintlichen Supersoldaten, keine fünf Minuten überleben würden, wenn es zum Schlagabtausch mit diesen erfahrenen und harten Bergkämpfern kommen sollte. Es fiel mir sehr schwer, mit der Unwissenheit und Unsensibilität meiner Umgebung zurechtzukommen. Ich fragte mich, wo das noch hinführen sollte. Ich brauchte dringend eine neue Aufgabe.
    Bereits am Tag nach meinem hastig abgebrochenen Besuch im Supermarkt meldete ich mich in meiner neuen Einheit in Varel und erlebte eine freudige Überraschung: Ein bekanntes Gesicht hinter dem Schreibtisch grinste mich an. Es war Stabsfeldwebel Reichert, den ich aus Kabul kannte. Er hatte dort die Betreuungseinrichtung »Drop Zone« aufgebaut und betrieben und auch die Party am »German Day« organisiert. Dass er mein neuer Spieß war, freute mich riesig. Seine Einstellung war mir schon in Kabul positiv aufgefallen: Probleme kannte er nicht. Diese waren nur dazu da, um angepackt und gelöst zu werden. Deshalb merkte er wohl auch sehr schnell, dass ich Schwierigkeiten mit der Eingewöhnung hatte. Er meinte, ich solle mich erst mal bei meiner neuen Einheit, dem Spezialzug, melden, und dann würden wir weitersehen.
    Im Lagezentrum traf ich auf einen Soldaten, den ich von Übungen und Lehrgängen in Deutschland kannte, der aber nicht in Afghanistan gewesen war. Kaum hatte er mich gesehen, begrüßte er mich: »Na, aus dem Urlaub zurück?« Am liebsten hätte ich sofort kehrtgemacht. Dass nicht mal die eigene Truppe den Horizont hatte, die Friedens-PR der Bundeswehrführung zu durchschauen, hätte ich nicht gedacht. Ich entschied mich, niemandem im Spezialzug auch nur ein Sterbenswörtchen über meine Tätigkeiten in Afghanistan zu erzählen. Ein paar der anderen anwesenden Soldaten war allerdings bereits zu Ohren gekommen, dass ich für die KCT unterwegs gewesen war, und sie fragten mich neugierig, was das denn gewesen sei. Ich winkte nur müde ab. »Leute, ich hab den Kanal echt voll. Vielleicht erzähle ich euch irgendwann später mal davon.« Zum Glück akzeptierten sie das und ließen mich in Ruhe.
    Die ersten Begegnungen mit Kameraden hatten mir
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