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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul
Autoren: Achim Wohlgethan
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konnte ich noch nicht wissen, dass dieses Gefühl der Deplatziertheit in der Öffentlichkeit mich noch eine ganze Weile begleiten würde.
    Nachts erreichten wir die Kaserne in Oldenburg. Alles um mich herum kam mir fremd vor, fast unheimlich. Offensichtlich hatte ich einen handfesten Koller aus diesem Einsatz mitgebracht. Ich widerstand der Versuchung, mit meinem Handy in Afghanistan anzurufen. Es wäre ein Leichtes gewesen, denn ich hatte alle Nummern meiner Kameraden von den KCT eingespeichert und musste mich wirklich zwingen, es nicht zu tun. Für mich stand fest, dass ich mit diesen für mich völlig neuen Eindrücken in Deutschland alleine klarkommen musste. Ich stellte mein Gepäck in mein Zimmer und saß ratlos da. Die Wände erdrückten mich fast. Ich wollte nur noch raus und fragte Sascha, ob er mich nach Oldenburg fahren könne. Moni, eine gute Freundin, hatte mir angeboten, die ersten Tage bei ihr unterzukommen, wusste sie doch um die Trennung von meiner Frau vor dem Einsatz. Dieses Angebot nahm ich nun dankbar an, und so fuhr mich Sascha zu ihr.
    Nach einer kurzen Begrüßung verkrümelte ich mich sofort auf Monis Couch. Ich wollte nur noch schlafen und nichts mehr sehen und hören. Besonders graute mir vor meinem Besuch bei meinen Eltern. Was sollte ich ihnen erzählen? Wie würde das ablaufen? Lieber, so dachte ich mir, kläre ich Minen auf, als meinen Eltern verharmlosende Geschichten aus Afghanistan zu erzählen. Mit solchen Gedanken dämmerte ich vor mich hin, trotz meiner groben Müdigkeit fand ich einfach keine Ruhe. Den Rest der schlaflosen Nacht tigerte ich in Monis Wohnung herum. Noch immer kam ich mir ohne Waffe und Ausrüstung nackt und schutzlos vor. Ein Gefühl, das aus vielen Gründen in den nächsten Wochen mein ständiger Begleiter wurde. Ich betäubte es, indem ich vor der Schlafenszeit Alkohol trank. Das half. Allerdings löste dies nicht das Hauptproblem, wie mir Gott sei Dank noch rechtzeitig klar wurde. Stattdessen verlegte ich mich auf Sport. Das war gesünder und half auch besser. Lieber wachte ich morgens mit einem Muskelkater auf als mit einem dicken Kopf.
    An meinem ersten Morgen wurde ich vom beständig gegen das Fenster trommelnden Regen geweckt. Während sich kaum jemand über solches Wetter freut, war ich völlig aus dem Häuschen, nach einem halbem Jahr in der Wüstenstadt endlich mal wieder Regen zu sehen. Ich zog schnell meine Sachen an, ging nach draußen in den Vorgarten und stand mit ausgestreckten Armen regungslos da. Andere Bewohner der Siedlung hetzten gerade unter Regenschirmen zur Arbeit und schauten ratlos auf die Person, die dort auf dem Rasen stand und sich nassregnen ließ. Doch ihre Blicke waren mir egal, der heftige Schauer tat mir sogar gut. Ich war zwar bis auf die Haut durchnässt, doch ich hatte mir damit wenigstens einen Teil meiner Probleme irgendwie abgewaschen. Ich saß noch länger als eine Stunde in meinen nassen Klamotten auf dem Balkon und genoss den Geruch von frischem Gras nach einem Unwetter.
    Am späten Nachmittag rief ich zu Hause an. Ich hatte dieses Gespräch mit meinen Eltern schon länger als nötig hinausgezögert. Meine Mutter freute sich sehr, dass ich wieder da war – vor allem heil. Wir verabredeten, dass ich am Sonntag zu ihnen nach Wolfsburg komme. Nach dem Anruf ging es mir schon etwas besser. Dann nahm ich die nächste Hürde in Angriff: einkaufen gehen. Mit großen Augen bewegte ich mich durch den Supermarkt und staunte wie ein kleines Kind. Nie hätte ich gedacht, dass man auch bei der Rückkehr in sein Heimatland einen Kulturschock bekommen konnte. Aber das war genau das, was gerade mit mir passierte. Als ich durch die vollbestückten Regalreihen lief, konnte ich zum ersten Mal wertschätzen, was wir Westeuropäer als selbstverständlich hinnahmen. Da gab es fünfzehn Sorten Schinken, ein Kühlfach mit einigen Metern Milchprodukten und Joghurt mit 20, 3,5 oder 0,1 Prozent Fett, dazu Schokolade und Nudeln in allen Formen und Farben – und in Afghanistan sterben noch immer Kinder an Unterernährung. Das war zu viel für mich. Mir wurde übel und ich sah zu, schnell aus dem Geschäft zu kommen. Stolpernd erreichte ich Monis Wohnung und verließ sie den Rest des Tages nicht mehr. Das fängt ja gut an, dachte ich. War ich doch kaum dreißig Stunden in Deutschland.
    Ich saß erschöpft in Monis Wohnzimmer, als mein Handy klingelte. Eine vertraute, leicht knisternde Stimme fragte mich, ob ich heil zu Hause angekommen sei. Mir
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