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Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Titel: Elia Contini 03 - Das Verschwinden
Autoren: Andrea Fazioli
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blickte auf die Piazza Indipendenza hinaus. Wie das letzte Relikt einer untergegangenen Zivilisation ragte der Obelisk aus der Mitte des Platzes. Es war elf Uhr abends und die Stadt menschenleer – die Jugend von Bellinzona hängt nicht auf den großen Plätzen ab, sondern verzieht sich in die versteckten Innenhöfe oder die Bars der Via Codeborgo. Contini war allein in der Redaktion und hatte nicht viel anderes zu tun, als die Stellung zu halten und die Mitteilungen für die »Kleine Chronik« zu verfassen.
    Seit ein paar Monaten war er jetzt bei der Zeitung. Eingestellt worden war er als Fotograf, dann war er in die Schlussredaktion gewechselt. Mit der Zeit hatte man ihm den einen oder anderen Artikel für den Lokalteil, die Todesanzeigen, die Redaktion der Service-Nachrichten anvertraut. Als junger Mann hatte Contini zwei Ausbildungen begonnen – erst zum Fotografen, dann zum Polizisten – und nicht abgeschlossen und danach bei etlichen Zeitungen gearbeitet. Eine Zeit lang hatte er sich als Privatdetektiv versucht und auch einigermaßen damit durchgeschlagen, aber als er auf die vierzig zuging, war er die Sache leid geworden.
    Und so war er jetzt hier gelandet und füllte die Spalte »Tipps und Veranstaltungshinweise« mit einer Anzeige der Philatelisten-Vereinigung von Giubiasco, die Zeit und Ort der Vorstandssitzung bekannt machte, mit den Gewinnzahlen einer Lotteria Pro Restauri in Riviera, der Ankündigung eines Country-Grillabends im Bleniotal, mit Hinweisen auf Flohmärkte, Konferenzen, Dorffeste und bestens für Ansturm gerüstete Bars. Eine Arbeit, die ihm im Großen und Ganzen nicht missfiel. Sie ließ ihm viel freie Zeit, für sich, für Spaziergänge im Wald, Unternehmungen mit Francesca.
    Ja, Francesca.
    Ein wunder Punkt. Sie waren jetzt schon etliche Jahre zusammen, und sie wurde allmählich ungeduldig. Aber was erwartete sie von ihm – wollte sie zu ihm nach Corvesco ziehen? Gemeinsam auswandern? Heiraten womöglich? Contini wagte nicht zu fragen. Er hatte immer allein gelebt, in seinen Bergen; schon der Gedanke an Veränderung war ihm zuwider. Aber Francesca war zunehmend unruhig, und Contini wiederum mied das Thema wie der Teufel das Weihwasser.
    Er zündete sich die letzte Zigarette des Tages an.
    Er genoss diese einsamen Abende, wenn er mit der Spätschicht an der Reihe war. Der Verlagsort der Zeitung war Lugano; er saß in der Redaktion Bellinzona und Valli, und mit der Chefetage verkehrte er, wenn überhaupt, telefonisch. Spätabends war meist nicht viel zu tun, es sei denn, es war ein Unfall passiert, oder der Gemeinderat tagte. An diesem Abend schwieg das Telefon zum Glück, und Contini rauchte seine Zigarette unbehelligt.
    Die Redaktion befand sich im Flügel eines mächtigen alten Wohnhauses, und der Raum, in dem er saß, wuchs unter den Schichten von Papieren, die sich in der Tiefe der Jahre verloren, nach und nach zu. Aus dem Archiv, dessen Fassungsvermögen begrenzt war, quollen Pressemitteilungen, lokale Publikationen, nicht abgelegte Korrespondenz, ausgeschnittene Artikel, alte Ausgaben der Zeitung – das Papier nahm die Schreibtische, den Fußboden, den Kühlschrank, sogar das Klo in Besitz. Contini fühlte sich in dem Durcheinander wohl, während sein Ressortleiter regelmäßige Anläufe zur Eindämmung des Chaos unternahm. Es war ein Kampf gegen Windmühlen.
    Um elf Uhr abends jedoch war der Chef schon seit drei Stunden zu Hause. Contini ging zum Kühlschrank, holte sich eine Flasche Bier und kehrte an den Schreibtisch zurück. Das Bier in der Hand, legte er die Füße auf ein Regalbrett und nahm sich den Stoß Korrekturbögen vor, der auf ihn wartete. Er begann zu lesen.
    Die Todesanzeigen waren bemerkenswert frei von Druckfehlern. Gute Arbeit. Sauber, präzise, jedes Wort, wo es hingehörte. Er las die Danksagung von Sonia und Natalia Rocchi an alle Trauergäste, die so zahlreich zur Beerdigung ihres lieben Enzo erschienen waren. Contini stutzte. Der Name kam ihm bekannt vor.
    Er fuhr den Computer noch einmal hoch, ging ins Internet und öffnete seinen Posteingang – seinen privaten, nicht den der Redaktion. Nachdem er E-Mails so gut wie nie löschte, hatte er bald gefunden, wonach er suchte:
    Sehr geehrter Herr Contini,
vielleicht erinnern Sie sich an mich: Wir sind uns in Corvesco schon mal über den Weg gelaufen, wo ich ein Haus besitze. Heute wende ich mich allerdings in einer geschäftlichen Angelegenheit an Sie, denn ich muss die Dienste eines Privatermittlers in
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