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Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Titel: Elia Contini 03 - Das Verschwinden
Autoren: Andrea Fazioli
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empfangen, die sie besuchen wollten.
    Das Händeschütteln erledigte Natalia ohne ein Zögern. Und sie fand gleich den richtigen Ton, um die Kondolenzen am offenen Grab entgegenzunehmen. Es waren immer die gleichen Formeln, manchmal gefolgt von einer Umarmung, einem Kuss auf die Wange. Viele weinten. Natalia schluckte ihre Tränen hinunter, mehrmals; jetzt war nicht der Moment, um zusammenzubrechen. Ein paar Mal musste sie unwillkürlich sogar lächeln. Zum Beispiel, als in der Aussegnungshalle nicht gleich die richtige Musik kam und statt Knockin’ on Heaven’s Door die ersten Takte von Forever Young einsetzten. Oder als der Großvater zu ihr sagte: »Diese ganzen Leute möchte ich auch auf meiner Beerdigung.«
    Es bestand kein Anlass zur Heiterkeit, aber Natalia war sicher, dass ihr Vater der Erste gewesen wäre, der die humoristische Seite an einer Trauerfeier gesucht und gefunden hätte. Er hatte eine Schwäche für schwarzen Humor; in einträchtiger Begeisterung hatten er und Natalia sämtliche Filme von Quentin Tarantino gesehen. Auch die Leidenschaft für die klassische Musik hatte sie von ihrem Vater. Einmal waren sie miteinander nach Mailand gefahren und hatten an der Scala die Traviata gehört, sie im langen Kleid und er im dunklen Anzug. Natalia dachte an Violetta und deren Schmerz, der ihr übertrieben schien, sentimental. In der Oper wird geweint, man zerreißt sich die Kleider vor Gram, und im wahren Leben kommt es sogar vor, dass man lächelt. Aber es tut darum nicht weniger weh.
    Während der nächsten Tage bemühte sich Natalia, nicht gegen die Ferien zu kämpfen. Es war schließlich Sommer, sie konnte nicht den ganzen Tag im Zimmer sitzen. Aber sie hatte auch keine Lust, zum See hinunterzugehen oder ihre Freundinnen zu treffen. Bis eines Abends ihre Mutter mit einem überraschenden Vorschlag kam.
    »Wie wär’s, wenn wir übers Wochenende in die Berge fahren?«
    Früher war Papa derjenige gewesen, den es in die Berge zog; immer wieder hatte er sie beide in das Ferienhaus in Corvesco verschleppt. Die Mama hatte eigentlich gar nichts übrig für enge Horizonte, sie liebte das Meer.
    »Ist das dein Ernst?«
    »Der Garten ist bestimmt ganz verwildert, und im Haus müsste mal wieder aufgeräumt werden.«
    Natalia sah sie verblüfft an. Sie war nicht sicher, ob es die beste Lösung war, in die Berge zu fliehen und Unkraut zu jäten, aber sie hatte auch keine Alternative.
    »Na gut … hier hab ich sowieso nichts zu tun.«
    Sonia fragte sich, ob Natalia einen Verdacht hatte. Aber ihre Tochter schien sehr mit sich beschäftigt. An diesem Abend las sie, schon im Bett, noch einmal den Brief, den sie zwischen Enzos Papieren gefunden hatte.
    Lieber Doktor, ich weiß nicht, ob es richtig ist, was ich tue, aber du hast schon Recht, wenn du sagst, dass Schweigen alles immer nur schlimmer macht. Ich habe Fotos von Vicky gemacht, bevor man sie fortgeschickt hat. Und ich habe auch meine Papiere, die echten – nicht den falschen Ausweis, den ich bei meiner Ankunft in der Schweiz bekam. Und ich habe die Adressen der Mädchen, die gleichzeitig mit Vicky hier waren. Ich traue weder dem Mobiltelefon noch dem Mail und schreibe dir deshalb – hoffentlich ist es die richtige Adresse.
    Kate
    Auf dem Umschlag stand eine handschriftliche Notiz von Enzo: NAMEN DER MÄDCHEN NACHPRÜFEN. Sonia hatte keine Ahnung, was sich dahinter verbarg, aber sie war beunruhigt. Was hatte Enzo ihr verheimlicht? War er illegalen Machenschaften auf die Spur gekommen? Aber was war es, worum ging es?
    Nachdem sie hier keine weiteren Anhaltspunkte gefunden hatte, war ihr die Idee mit dem Ferienhaus in Corvesco gekommen: Vielleicht fand sich ja dort ein Hinweis.
    Und wenn nicht, verbrachte sie zumindest ein paar ruhige Tage mit Natalia. Fernab vom Chaos der Stadt, von den Beileidsbesuchen der Freunde und Kollegen, den endlos langen Junitagen in Lugano. Vielleicht wäre ihr dort in den Bergen die Stille ausnahmsweise willkommen. Vielleicht fände sie heraus, womit sich Enzo beschäftigt hatte, bevor er gestorben war.

3
Kleine Chronik»
    Der Jahrgang 1949 trifft sich, wie jeden Sommer, zum gemeinsamen Abendessen.« Gut, dachte Elia Contini, aber ein paar Details braucht es schon. »Treffpunkt auf dem Parkplatz gegenüber der Schule für Handwerk und Gewerbe von Bellinzona, und es wird gebeten, die nötige Ausrüstung für eine kurze Wanderung mitzubringen.«
    Contini nickte zustimmend, übertrug die Angaben und stand auf. Er trat ans Fenster und
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