Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards

Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards

Titel: Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
Autoren: Ivo Pala
Vom Netzwerk:
legte Svenya alle Kraft in die Muskeln ihrer Beine, um aufzustehen.
    »Bemüh dich nicht«, sagte die Stimme mit rauer Sanftheit. »Du träumst nur …«
    Um die rot glühenden Augen herum wurde nun ein Körper sichtbar, so als würde der Nebel sich zusammenziehen und zu einer festen Gestalt verdichten. Drüben auf der anderen Straßenseite, auf dem Dach des Hauses, das so hoch war wie das Parkhaus. Es war ein Mann – ein sehr hoch gewachsener Mann. Athletisch gebaut. Breite Schultern, schmale Hüften, lange, muskulöse Schenkel. Sein dunkles Gesicht war markant – hohe Stirn und Wangenknochen; schwarzes, langes Haar zu einem Zopf zusammengebunden … ein ebenso schwarzer, akkurat ausrasierter Kinnbart, der seine vollen Lippen umrahmte. Außergewöhnlich rote Lippen. Seine Kleidung – rötlich braunes und schwarzes Wildleder – wirkte mittelalterlich … und war nach Svenyas Einschätzung die eines Jägers. Er trug einen weiten Kapuzenumhang, der im Nachtwind wehte, und kniehohe Stulpenstiefel. Die Augen hörten auf, rot zu glühen, und waren nun schwarz wie mit Öl polierte Kohle. Eine dunkle Aura umgab ihn – so als würde rund um seinen Körper herum sämtliches Licht verschluckt.
    »Ich bin gekommen, dich zu mir zu holen«, sagte er.
    Der Teufel? Ein Werwolf? Ein Vampir?
    Wenn das ein Traum war, konnte er alles Mögliche sein. Obwohl ihr das Herz in der Kehle pochte und weil sie nichts anderes zu tun in der Lage war, fragte sie: »Mich zu dir zu holen?«
    Er nickte. »Damit du dein Schicksal erfüllst.«
    »Mein Schicksal?«
    »Ja«, erwiderte er. »Du hast geglaubt, du könntest ihm entgehen. Alle haben sie das geglaubt. Alle, außer mir. Seinem Schicksal kann man nicht entrinnen. Niemand kann das. Nicht einmal du.«
    »Ich werde nirgendwohin mitgehen«, stellte sie, trotzig vor Angst, klar.
    Sein Schmunzeln sah beinahe liebevoll aus. »Ich bin mir sicher, dass du das wirklich glaubst, doch ich lasse dir gar keine Wahl, Svenya.«
    Er kennt meinen Namen?
    Ein drittes Mal versuchte Svenya, sich aufzurappeln. Vergeblich.
    »Siehst du«, sagte er. »Niemand entkommt meinem Bann.«
    Was redet der Kerl da?
    Svenya konnte sich nicht erinnern, jemals so etwas Absurdes geträumt zu haben. Genau das war es! Sie träumte das alles nur. Was bedeutete, dass sie lediglich wach werden musste, um sich aus dieser bizarren Situation zu befreien.
    Mach die Augen auf!, befahl sie sich selbst.
    Aber wie soll man die Augen aufmachen, wenn man sie im Traum bereits offen hat? Sie probierte es ein paar Mal, aber es wollte ihr einfach nicht gelingen. Sie musste etwas anderes finden. Obwohl Svenya sie nicht heben konnte, schaffte sie es, ihre Hände zu Fäusten zu ballen, und grub sich die Fingernägel so fest in die Handflächen, dass es weh tat. Und dann noch ein bisschen fester. Sie fühlte eine warme Flüssigkeit unter ihren Fingerspitzen.
    Das wirkte. Sie schüttelte sich kräftig und schlug erneut die Augen auf. Und tatsächlich – der Nebel war mit einem Schlag verschwunden, und sie konnte sich wieder bewegen. Doch als sie hinüber zu dem Dach des anderen Hauses sah, gefror ihr das Blut in den Adern.
    Der Fremde stand noch immer dort. Leibhaftig. Und wie eben im Traum lächelte er finster.
    In der Luft lag eine merkwürdige, körperlich spürbare Spannung, wie kurz vor einem Sommergewitter – nur dass jetzt keine einzige Wolke mehr am Himmel stand. Als wollte sie die Szenerie noch gespenstischer machen, begann nun die Glocke einer nahen Kirchturmuhr zu schlagen.
    Mitternacht .
    »Es ist soweit«, sagte der Fremde, und sein Lächeln wurde zu einem vorfreudigen Grinsen.
    Alles Gute zum Geburtstag, dachte Svenya bitter und schaute sich um. Sie musste von hier weg. Schnell. Aber als ihr Blick die Tür zum Treppenhaus fand, fühlte sie sich augenblicklich wieder wie gelähmt. Vor Verzweiflung schrie Svenya beinahe laut auf, denn die Tür stand plötzlich offen … und ein Wolf trat gerade durch sie hindurch nach draußen auf das Dach.
    Ein riesiger Wolf. Größer als ein Pony. Sein gewaltiger Kopf war wie zum Angriff gesenkt, und er fixierte Svenya mit seinen wie von innen heraus bernsteinfarben leuchtenden Augen.
    Träume ich noch immer?, fragte sie sich. Kein Wolf dieser Welt ist so groß .
    Sein Blick strahlte eine Intelligenz aus, die weit über die eines herkömmlichen Raubtieres hinausging.
    Svenya sah, wie sich die Muskeln unter seinem eisgrauen Fell bewegten, als er auf sie zu schritt. Noch immer sitzend,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher