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Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards

Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards

Titel: Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
Autoren: Ivo Pala
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krabbelte sie rückwärts von ihm weg – obwohl sie wusste, dass es hier oben keinen Ausweg für sie gab. Die Turmuhr schlug noch immer. Der Fremde auf dem Dach gegenüber lachte. Svenya zitterte am ganzen Leib vor Furcht und Anstrengung. Sie schnaubte und nahm einen Kieselstein in die vom Krabbeln und ihren eigenen Fingernägeln geschundene Hand – als würde sie mit dem etwas ausrichten können gegen das riesige Monster.
    Da machte der Wolf plötzlich einen gigantischen Satz und landete mit breit auseinander gestellten Vorderläufen genau über ihr, ehe sie auch nur dazu kam, einen Schrei auszustoßen. Sein riesiges, felliges Gesicht war jetzt nur noch wenige Handbreit von dem ihren entfernt – und er schaute sie an. Zu Svenyas großer Verwunderung lag jedoch nichts Aggressives in diesem Blick, keine animalische Wildheit. Er senkte den Kopf – Svenyas Herz stolperte vor Panik – und schnüffelte an ihrer Stirn. Svenya hielt den Atem an und wagte nicht, sich zu rühren.
    Da geschah etwas noch Sonderbareres. Der Wolf stieß einen gar nicht gefährlich, sondern eher freundlich klingenden Laut aus … und leckte ihr mit seiner rauen, kühlen Zunge die Wange. Dann richtete er sich auf, drehte sich zu dem auf dem gegenüberliegenden Dach stehenden Fremden herum, fletschte die fingerlangen Reißzähne und knurrte ihn an, ganz so, als wollte er Svenya vor dem Mann beschützen. Doch der Fremde schmunzelte nur amüsiert … und hielt plötzlich einen langen Bogen in seiner behandschuhten Faust. Die Waffe war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Sie war beinahe so lang wie der Fremde groß und aus zwei riesigen Steinbockhörnern gefertigt. Ebenso aus dem Nichts erschien in seiner anderen Hand nun ein Pfeil – er war aus schwarzem Holz und hatte, soweit Svenya das aus der Entfernung richtig erkennen konnte, eine silberne Spitze.
    Dann ging alles ganz schnell: Mit einer fließenden Bewegung legte der Fremde den Pfeil auf die Sehne … spannte den Bogen mit unglaublicher Kraft, ohne dass man ihm die Anstrengung ansah … zielte auf den Wolf, der dadurch nur noch aggressiver knurrte … und schoss.
    Die Turmuhr tat ihren zwölften Schlag.
    Aus dem wolkenlosen Himmel krachte ein Blitz – und traf Svenya in die Brust. Sie zuckte zusammen, jedoch vor Schreck, denn seltsamerweise war da kein Schmerz … nur ein kurzer Schock … und danach das schwer greifbare Gefühl, dass sich gerade eben etwas Grundlegendes geändert hatte. Und so, wie zuvor für den Bruchteil einer Sekunde alles ganz schnell gegangen war, kam es Svenya jetzt auf einmal vor, als bewegte sich die Welt um sie herum in Zeitlupe: Sie sah die Sehne des Bogens schwingen und den Pfeil auf den Wolf zufliegen. Sie wusste nicht, was der Fremde von ihr wollte, und auch nicht, warum der Wolf hier war. Beide machten sie ihr Angst, doch der Wolf schien sie beschützen zu wollen. Sollte er jetzt dafür sterben? Nicht, wenn sie es verhindern konnte. Mehr ihrem Instinkt als einem Gedanken folgend, schleuderte Svenya den Kieselstein, den sie in der Hand hatte, in die Flugbahn des schwarzen Pfeils. Zu ihrer größten Verwunderung hatte sie nicht die Spur eines Zweifels, dass sie auch treffen würde. Und tatsächlich: Der Kiesel zischte durch die Luft mit der Geschwindigkeit einer Pistolenkugel und traf frontal und punktgenau auf die Silberspitze. Der Pfeil dahinter zerschellte in Hunderte winziger Holzsplitter, die zusammen mit dem Stein und der durch den Aufprall platt gequetschten Spitze harmlos herabfielen.
    Der Fremde schaute sie eindringlich an. Auch er schien nicht überrascht, dass sie getroffen hatte, nickte ihr aber trotzdem anerkennend zu.
    Svenya rappelte sich auf. Sie konnte immer noch nicht fassen, was da gerade geschehen war. Doch sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn der Schütze machte eine knappe Geste, und plötzlich tauchten aus den Schatten hinter ihm zwei dunkle Gestalten in weiten Umhängen und Kapuzen auf. Mit der Schnelligkeit angreifender Raubkatzen rannten sie los – genau auf die Schlucht zwischen den beiden hohen Gebäuden zu; so als würden sie den Abgrund vor ihnen gar nicht sehen … und noch ehe Svenya sich überhaupt fragen konnte, was sie damit bezweckten, hatten sie den Rand ihres Daches auch schon erreicht … und sprangen.
    Svenyas Mund stand offen vor ungläubigem Erstaunen, als sie sah, wie die beiden – scheinbar schwerelos – mit einer Grazilität, die eine Mischung war aus der eines Balletttänzers und
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