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Eiswind - Gladow, S: Eiswind

Titel: Eiswind - Gladow, S: Eiswind
Autoren: Sandra Gladow
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auftauchte und ihre Wade streifte, schrie Anna erschrocken auf. Sie biss sich auf die Lippe, als kurz darauf der Lichtkegel von Tiedemanns Taschenlampe den Hund erfasste und wieder näher kam. Es blieb ihr keine andere Möglichkeit, als erneut die Flucht anzutreten. Zunehmend erschöpft verließ sie den Schutz der Tanne und begann wieder zu laufen.
    Tiedemann kam heran. Seine Taschenlampe wies ihm den Weg, während Anna immer wieder ins Ungewisse tappte, umknickte und stolperte, sich wieder aufrappelte und weiter flüchtete.
    »Fass!«, wandte sie sich verzweifelt an Hubert. Und noch einmal »Fass!«, als sie Tiedemanns Atem in ihrem Nacken spürte. Er war nun wieder direkt hinter ihr.
    Ihr Hund spürte ihre Angst. Statt sich jedoch ihrem Angreifer zuzuwenden, sprang er hilflos an ihr hoch und erschwerte ihre Flucht, anstatt ihr eine Hilfe zu sein. Anna kämpfte verzweifelt mit den Tränen und
ihrer Übelkeit. Ein Ast schlug ihr erbarmungslos zwischen die Augen, und sie spürte, wie Blut über ihr Gesicht rann und sich mit dem eiskalten Regenwasser vermischte.
    Als Anna die Lichter mehrerer fahrender Polizeiautos ausmachen konnte, flackerte neuer Mut in ihr auf. Das muss die Hauptstraße sein!, dachte sie und schätzte diese in einer Entfernung von etwa drei Kilometern. Ich muss zur Straße, fuhr es ihr durch den Kopf. Ich muss irgendwie zur Straße!
    Wie aus dem Nichts tat sich plötzlich die steile Böschung vor ihr auf. Anna bremste ab und schrie auf, als ihr erneut ein Ast gegen ihre Stirn schlug und sie zu Boden geschleudert wurde. Für einen Moment war ihr, als würde sie schweben.
    Sie blickte noch einmal auf und erkannte voller Schrecken, dass sich jemand über sie beugte. In ihrer Kehle steckte ein Schrei, doch sie brachte keinen Ton heraus. Anna war den Pranken, die nach ihrem Hals griffen, machtlos ausgeliefert. Dann breitete sich die Dunkelheit wie ein warmer Teppich über ihr aus.

40. KAPITEL
    I n der Kapelle gab es nicht einen freien Platz. Die Kollegen der Staatsanwaltschaft waren nahezu vollständig erschienen und saßen dicht gedrängt beieinander auf den Kirchenbänken. Bis nach draußen reichte der Zug der Trauergäste und der Lübecker Bürger, die gekommen waren, um ihrem Mitgefühl und ihrer Betroffenheit Ausdruck zu verleihen.
    Abgesehen von den Kollegen der Staatsanwaltschaft hatten sich auch eine Vielzahl von Richtern und Kriminalbeamten eingefunden, um den Angehörigen ihr Beileid zu bekunden. Die Ansprache des Behördenleiters war lang und rührend, und angesichts der Tragik der Geschehnisse gab es nicht wenige Tränen.
    Bendt und Braun saßen in einer der vorderen Reihen. Der Behördenleiter beschrieb gerade das unermessliche Unglück und dass es trotz des beherzten und frühzeitigen Eingreifens Kommissar Bendts und seiner Kollegen nicht gelungen war, ein so furchtbares Unrecht zu verhindern.
    Hauptkommissar Braun seufzte tief und legte Bendt freundschaftlich die Hand auf die Schulter, als wolle er ihm Kraft spenden. Die tiefen Ringe unter Bendts Augen waren Zeugnis des erheblichen Schlafmangels
der vergangenen Nächte. Selbst zu dieser Stunde hatte er nur einen Gedanken: Es galt, den Täter endlich dingfest zu machen.
     
    Nur wenige Stunden später hockte er zusammengesunken auf seinem Stuhl und blickte besorgt auf Annas geschwollenes Gesicht oder vielmehr auf den Teil davon, der nicht durch die dicken Bandagen und Verbände verdeckt war.
    Die Ärzte hatten sich sehr besorgt gezeigt und ihn zugleich auch mit dem Hinweis schockiert, dass ihre Patientin schwanger war. Es ging ihnen nicht nur darum, das Kind zu retten – auch Annas Zustand war äußerst besorgniserregend. Ihre Blutwerte waren außerordentlich kritisch.
    Bendt bemühte sich zu lächeln, als sie aufwachte und ihn ansah. »Pssssst«, sagte er sanft und drückte Anna zurück in ihr Kissen, als sie versuchte, sich aufzurichten. »Es wird alles gut.« Er nahm das Wasserglas vom Nachtschrank und stützte ihren Kopf, um ihr beim Trinken zu helfen.
    Anna war in jener Nacht so schwer gestürzt, dass sie ein Schädel-Hirntrauma erlitten hatte. Zudem hätte sie um ein Haar ihr Kind verloren. Es war reines Glück gewesen, dass ihr Sturz durch einen Baumstamm gebremst worden war, sonst wäre sie jetzt mit Sicherheit tot.
    »Was ist mit meinem Baby?«, hauchte sie jetzt angstvoll und versuchte erneut, sich aufzurichten.
    Bendt hielt sie zurück, nahm ihren Kopf in seine
Hände und streichelte sanft ihr Haar. »Mit dem Baby ist alles in
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