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Eiswind - Gladow, S: Eiswind

Titel: Eiswind - Gladow, S: Eiswind
Autoren: Sandra Gladow
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und lauschte angespannt. Es war weniger sein Gehör als sein Gefühl, das ihm sagte, dass ihm im Wohnungsinneren bereits jemand nur eine Handbreit entfernt gegenüberstand und auf ihn wartete.
    »Kriminalpolizei Lübeck«, sagte er laut. »Wir haben einen Durchsuchungsbeschluss, bitte öffnen Sie die Tür!«
    Es blieb still.
    »Das Haus ist umstellt«, fuhr Hauptkommissar Braun mit seinem tiefen Bass fort, »wenn Sie nicht sofort öffnen, werden wir Ihre Tür aufbrechen müssen!«
    Es dauerte nur Sekunden, bis es in der Wohnung plötzlich lebendig zu werden schien. Bendt griff nach seiner Dienstwaffe und warf sich mit der Schulter gegen die Tür, ohne dass es ihm gelang, sie zu öffnen. Entschlossen ging er einen Schritt zurück, holte aus und trat mit aller Kraft gegen das Türblatt, das mit einem lauten Krachen aus der Verankerung riss. Er ging langsam durch den mit Kartons und alten Plastiktüten überfüllten Flur. Es stank erbärmlich nach Müll. Sein Gehör wies ihm den Weg ins Badezimmer.
    »Lassen Sie sofort die Waffe fallen!«, brüllte Bendt
und richtete den Lauf seiner Walther PPK auf Schleedorf, der neben der verdreckten Kloschüssel stand. In seiner zitternden rechten Hand hielt er eine auf seine Schläfe gerichtete Pistole.
    »Lassen Sie die Waffe fallen!«, wiederholte Bendt etwas leiser und fixierte die entrückt wirkenden Augen seines Gegenübers. Allein dieser Ausdruck wäre für Bendt Beweis genug gewesen. Er schluckte, als er neben sich ein paar Fotos der Opfer erkannte, die Schleedorf am Rand eines angesprungenen Badezimmerspiegels befestigt hatte.
    Bendt versuchte, den beißenden Geruch von Schweiß und Urin zu ignorieren, der ihm entgegenschlug. Schleedorf sah aus, als habe er sich seit Wochen nicht gewaschen oder rasiert. Seine dünnen Haare klebten an seinem Kopf. Über seiner Oberlippe und auf seiner blassen Stirn sammelte sich der Angstschweiß, und sein zerschlissenes weißes T-Shirt, das an seinem dürren Körper herunterhing, war von Flecken übersät. Eine angeschwollene Ader unter der fast durchsichtig scheinenden Haut seiner Stirn war zudem Zeugnis seiner starken Anspannung.
    »Nimm die Waffe runter, Junge«, forderte jetzt auch Hauptkommissar Braun, der nun hinter Bendt im Türrahmen auftauchte. Ganz langsam machte Bendt einen Schritt auf Schleedorf zu.
    »Nein!«, rief dieser, während sein Zeigefinger bedrohlich am Abzug zuckte. Bendt atmete auf, als der erwartete Schuss vorerst ausblieb.
    Binnen Sekunden analysierte er die Situation und
ließ seine eigene Waffe sinken. Braun war hinter ihm, und Bendt wusste, dass er sein Leben bedenkenlos in die Hände seines erfahrenen Kollegen legen konnte. Braun hatte genug Platz, um auf Schleedorf zu schießen, wenn dieser seine Pistole wider Erwarten gegen Bendt richten sollte.
    »Warum haben Sie Sabrina Mertens getötet?«, fragte Bendt ruhig. Er musste Schleedorf in ein Gespräch verwickeln, irgendwie einen Zugang zu ihm finden.
    Schleedorf blickte ihn verständnislos an. »Sie musste sterben«, sagte er, als sei dies Erklärung genug.
    »Wieso?«, bohrte Bendt weiter. »Und weshalb so lange nach ihrer gemeinsamen Internatszeit?«
    Über Schleedorfs Gesicht huschte ein Ausdruck, der eine gewisse Anerkennung dafür verriet, dass man sich offenbar über seine Vergangenheit informiert hatte.
    »Sie war lange Zeit verschwunden gewesen«, hauchte er dann. »Sie war einfach von der Bildfläche verschwunden, weggespült.«
    »Und warum haben Sie die anderen Frauen umgebracht?«, fragte Bendt weiter.
    Schleedorfs Augen zuckten nervös. Sein ganzer Körper schien ein einziger Krampf zu sein. »Sie musste wieder sterben. Immer wieder, immer wieder. Sie waren alle gleich!« Seine Stimme klang unnatürlich schrill.
    Er fuhr sich mit dem linken Handrücken über die schweißnasse Stirn, während seine rechte Hand, mit der er die Pistole hielt, derart zitterte, dass Bendt fürchtete, er könne allein aus Versehen einen Schuss
auslösen. Dabei grinste er so entrückt, als verschaffe ihm allein der Gedanke an seine Opfer Befriedigung.
    Bendt versuchte, den Hass und den Ekel, den er empfand, beiseitezuschieben. Als Kriminalbeamter war er dazu verpflichtet, alles erdenklich Mögliche zu tun, um Jörg Schleedorfs Leben zu retten.
    »Sie hatten keinen Internetkontakt zu Sabrina Mertens«, stellte er fest.
    »Nein«, sagte Schleedorf. Seine glasigen Augen schienen durch den Kommissar hindurchzublicken, während er seinen Kopf hin und her wiegen ließ. »Ich
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