Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Titel: Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)
Autoren: Ernst Haffner
Vom Netzwerk:
Über dieses Buch
    Anfang der 1930er Jahre lebten in Berlin und in anderen deutschen Großstädten Tausende obdachloser Jugendlicher auf der Straße. Manche waren Opfer der prekären wirtschaftlichen Verhältnisse. Anderen hatte der Erste Weltkrieg die Familie zerstört und zerrüttet. Viele von ihnen waren aus Fürsorgeeinrichtungen geflohen. Aus dem ganzen Land waren sie in die großen Städte gekommen, weil das Elend hier immer noch erträglicher zu sein schien als die Bedingungen, unter denen sie in den Heimen und Jugendanstalten zu leiden hatten. Dort waren sie den Repressalien eines Erziehungssystems ausgesetzt, das physische und psychische Gewalt an ihnen verübte und sie zu brechen versuchte, statt ihnen Hilfe und menschliche Zuwendung angedeihen zu lassen.
    Gelang die Flucht, verdingten sie sich als Tagelöhner und Laufburschen, häufig aber führte ihr Weg sie in die Kriminalität oder Prostitution. Ein wenig Sicherheit und soziale Wärme fanden sie in selbstorganisierten Cliquen. Diese Banden boten nicht nur Schutz, sondern waren auch Ausdruck einer proletarischen Jugendsubkultur, die heute wenig bekannt ist. In stillgelegten Fabrikbaracken traf man sich, trank, tanzte, vergaß für Stunden das eigene Elend und feierte nach – wie es der renommierte Literaturkritiker Siegfried Kracauer schrieb – „ziemlich geheimnisvollen und anstößigen Riten romantische Dreigroschenoperfeste“.
    In diesem Milieu ist der vorliegende, von Ernst Haffner geschriebene und 1932 unter dem Titel Jugend auf der Landstraße Berlin im Verlag von Bruno Cassirer veröffentlichte Roman angesiedelt. Das Buch wurde unter den Nazis verboten und bei den Bücherverbrennungen öffentlich zerstört. Auch die Spur Haffners, von dem ohnehin wenig bekannt ist – man weiß, dass er als Journalist und wohl auch als Sozialarbeiter tätig war und zwischen 1925 und 1933 in Berlin lebte –, verliert sich in den Jahren nach der Machtergreifung der NSDAP. Ende der 1930er Jahre wird er zusammen mit seinem Lektor zur Reichsschrifttumskammer zitiert. In den Kriegswirren taucht sein Name nicht mehr auf.
    Dass sein Buch in Vergessenheit geriet, ist unter diesen Umständen erklärlich und doch überraschend, denn gerade die Literatur der Weimarer Republik ist in Deutschland gut erforscht. Insofern kann man diesen Roman eine Wiederentdeckung nennen, aber was sagt das schon über die Relevanz und Qualität eines Buches aus? Nichts. Und dass dieser Text, weil nun nach über achtzig Jahren endlich wieder zugänglich, eine Lücke schließt, mag stimmen und wäre an sich schon erfreulich. Aber es verrät wenig über das, was das Buch Haffners im Lesenden anzustoßen vermag, indem es sich in der ihm eigenen authentischen, mitfühlenden und unverstellten Weise seinem Erzählgegenstand zuwendet. Was mich für diesen Text eingenommen hat, sind der tieftraurige Realismus und die emphatische und nie pathetische Nähe des Autors zu seinen Figuren, die er an die elendesten Orte, dieBerlin zu jener Zeit kannte, begleitet, immer darauf bedacht, ihnen kein falsches Wort in den Mund zu legen, keine Moral unterzujubeln, die nicht die ihre ist.
    Gebannt, atemlos zuweilen, folgt man diesen Jugendlichen noch heute. Es ist eine intensive und mitunter physische Schmerzen bereitende Lektüre, die aber nie ohne Hoffnung ist. Haffners Zeitgenossen ging es ebenso. Kracauer schrieb in seiner bereits zitierten Kritik, die 1932 in der Frankfurter Zeitung erschien: „Ich muß gestehen, dass ich selten Schilderungen des ‚Milieus‘ gelesen habe, die so spannend geschrieben sind. Sie spiegeln unbekannte Zustände naturgetreu wider, beruhen spürbar auf eigener Anschauung und begnügen sich zum Glück nicht mit unzusammenhängenden Wirklichkeitsausschnitten, sondern bringen das hier und dort Erlebte auf den Nenner einer Fabel, die uns zwanglos durch das unterirdische Großstadtlabyrinth führt.“
    Und im Simplicissimus war über den Roman zu lesen: „Das Buch ist keine Reportage, keine Untersuchung und keine Anklage, es ist einfach packender und wichtiger Lesestoff (…) man liest es mit Gier und Spannung, wie man ehedem Räuber- und Indianergeschichten gelesen hat.“
    Für den heutigen Leser kommt noch etwas anderes hinzu: Er erhält Einblicke in eine – ebenso düstere wie wesentliche – Seite einer Zeit, die ihm so bisher sehr wahrscheinlich nicht gewährt worden sind. Ganz einfach deshalb, weil sie in den offiziellen Geschichtsschreibungen der Weimarer Republikzumeist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher