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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat
Autoren: F Steinhauer
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Der Wolf
    Der junge, graue Wolfsrüde, den die Menschen Turk nannten, lag im dichten Unterholz und leckte seine Wunden.
    Mit seinen 18 Monaten war er alt genug.
    Von heute an würde er seinen eigenen Weg gehen, sich ein Revier suchen und vielleicht in absehbarer Zeit mit einer Partnerin ein eigenes Rudel gründen.
    Ein wilder Schmerz in seinem Hinterlauf ließ ihn heftig zusammenzucken.
    Dieser lange Riss würde ihn noch eine Weile beschäftigen und womöglich bei der Jagd behindern.
    Seine auffallend großen Ohren bewegten sich hektisch.
    Turk war sich der Tatsache bewusst, dass ein Teil des Rudels seine Verfolgung aufgenommen hatte. Er sollte nicht auf den Gedanken kommen, einen kilometerweiten Bogen zu laufen und in wenigen Tagen zu den anderen zurückzukehren. Nein, sie wollten sicher sein.
    Als er nur die Geräusche des Waldes vernahm, beruhigte sich das Spiel seiner Ohren und er konnte sich erneut der Versorgung seiner Verletzungen widmen. Mit den Zähnen fuhr er vorsichtig durch das kurze Fell am linken Vorderlauf, um angetrocknetes Blut zu entfernen. Dabei ging er zu ungeduldig vor, die Verletzung riss erneut auf. Schnell leckte er das frische Blut auf. Der Duft könnte ihn sonst verraten.
    Dieser Biss stammte von einem seiner Brüder, der sich innerhalb der Gruppe der juvenilen Tiere erfolgreich bis an die Spitze gekämpft hatte. Mit seiner rauen Zunge fing Turk geschickt erneut austretendes Blut ein, bevor es den Waldboden erreichen konnte.
    Er winselte leise.
    Als Jungwolf hatte er schon einige Kämpfe überstehen müssen, und es war auch nicht das erste Mal, dass er dabei Verletzungen davongetragen hatte. Bisher war es ihm stets möglich gewesen, selbst als Verlierer eines solchen Hierarchiegerangels im Rudel zu verbleiben und meist hatte selbst sein Gegner schnell wieder Turks Nähe gesucht und sogar mitgeholfen, die Wunden zu versorgen.
    Aber diesmal war alles anders. Aus Spiel war bitterer Ernst geworden.
    Wieder ruckte sein Kopf hoch.
    Er witterte.
    Das eigenartige, gleichförmige Geräusch war ihm bekannt, es bestand kein Grund zur Besorgnis.
    Unmittelbar vor seinem Unterschlupf platschten dicke Wassertropfen auf die Erde, beim Aufprall losgelöste Spritzer trafen seine Nase und er zog sie unwillig kraus, begann zu knurren. Er wusste, dass er dieses Wasser nicht vertreiben konnte.
    Nachdem er die vielen Bisse, Kratz- und Schürfwunden gereinigt hatte, rollte er sich zu einem engen Knäuel zusammen und schloss erschöpft die Augen.
    Die jederzeit aufmerksamen Ohren würden seinen Schlaf überwachen.
     
    Als er später aufschreckte, war der Regen weitergezogen. Die Vorahnung einer drohenden Gefahr hatte ihn geweckt und Turk starrte angestrengt in die heraufziehende Dämmerung.
    Dort!
    Am Rande seines Gesichtsfeldes bewegte sich etwas.
    Das Wesen war laut.
    Offensichtlich hatte es keine Feinde zu fürchten.
    Das Brummen und Scheppern erstarb von einem Moment auf den anderen und das stinkende Ding spuckte zwei andere Wesen aus.
    Scharf sog Turk ihren Geruch ein.
    Die kannte er.
    Sie gingen nur auf ihren Hinterbeinen, benutzten die Vorderläufe, um zwischen den Blättern auf dem Waldboden nach irgendetwas zu stöbern.
    Angstvoll schob der junge Wolf sich tiefer in sein Versteck. Die Witterung, die er immer stärker wahrnahm, je näher diese Wesen kamen, implizierte Gefahr. Die Stimmen und Laute, mit denen sie kommunizierten, waren einem unmelodischen Bellen nicht unähnlich. Er wusste, dass man möglichst einen großen Abstand zu ihnen einhalten sollte, das Rudel hatte auf seinem Streifzug weite Distanz zum Unterschlupf dieser Wesen gehalten.
    Für eine Flucht war es zu spät.
    Und mit der verletzten Pfote wäre an ein Entkommen ohnehin nicht zu denken.
    Blieb ihm nur, die Störer gut zu beobachten.
    Was mochten die beiden nur im Laub suchen?
    So sehr er sich auch anstrengte, außer Erde, kleinen Insekten und einem leichten Hauch von Verwesung konnte er nichts bemerken.
    Nahezu geräuschlos schob er sich noch ein paar Zentimeter tiefer ins Gehölz. Mit der Schwanzwurzel berührte er schon die Mitte des Buschs.
    Sein Körper zitterte.
     
    Viel später, als die Dunkelheit schon den Wald erreicht hatte und sich das fahle, kalte Licht des Mondes durch die Kronen der Bäume einen Weg suchte, hörte Turk in der Ferne das Heulen der Wölfe.
    Seiner Familie.
    Gern hätte er eingestimmt.
    Doch er gehörte nicht mehr dazu.

Prolog
    Der Tag, an dem Hanne Gärtner den Glauben an das Gute im Menschen verlieren
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