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Einsam, zweisam, dreisam

Einsam, zweisam, dreisam

Titel: Einsam, zweisam, dreisam
Autoren: Thommie Bayer
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Veilchen ist der Zustand eines Auges.»
    «Oje, ein Schläger.»
    Er bietet ihr an, das Veilchen wieder in die Blumenfamilie aufzunehmen, sie müsse nur zugeben, daß er zu Recht beleidigt sei. Sie findet, da er eh kein Dichter sei, könne er die Goldwaage auch wieder wegpacken.
    «Frieden?» fragt er.
    «Bis zum Zielbahnhof», sagt sie.
    Er könne auch Musik hören, wenn sie wolle.
    Das könne sie dann auch, müsse sie sogar, sein Walkman sei nämlich undicht.
    «Das hat er mit mir gemeinsam», murmelt Sig. «Er ist kein Dichter.»
    Er schaut zum Fenster raus, denn jetzt kann er nicht riskieren, sie anzusehen. Er hofft, daß sie über seine Antwort lachen muß, aber er traut sich nicht, es nachzuprüfen. Am liebsten bisse er in die Fingernägel, aber das hat er nie getan. Das kann er jetzt nicht anfangen. Vielleicht sollte er ein bißchen im Matchsack herumkramen? Ach was. Er wird jetzt einfach den Kopf drehen und so tun, als wolle er die andere Seite des Waggons betrachten. Dabei kann er ja mal flüchtig über ihr Gesicht huschen und sehen, was los ist.
    Sie muß darauf gewartet haben. Sie läßt ihm keine Chance, ihr Gesicht bloß zu streifen. Sie hält seine Augen mit ihren fest und sagt: «Ja, ich hab gelacht.»
    Mein Gott, die kann Gedanken lesen! Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als schon wieder zum Fenster rauszusehen. im gruppentherapeutischsten Ton, den er hinkriegt, sagt er: «Du, ich empfinde dich ein Stück weit als unheimlich aggressiv mir gegenüber … du … echt.»
    Sie lacht.
    «Jetzt lachst du schon wieder über mich.»
    «Ich finde, da hast du unheimlich recht», sagt sie.
    Sie müssen schweigen bis Rottweil, denn ein Herr in grenzschutzgrünem Anzug hat sich zu ihnen gesetzt. Sie sehen aber beide in aufeinander passenden Winkeln aus dem Fenster, so daß sich ihre Augen treffen. Sie collagieren sich gegenseitig mit der vorbeiflitzenden Dunkelheit. Einmal lächelt sie, und als er auch lächelt, ist es wie ein Schrecken, der ihn lähmt.
    Ein freistehendes Lächeln ohne Text und ohne Ausrede ist wie mitten ins Herz gefaßt. Bis der Mann endlich ausgestiegen ist, vermeidet Sig, ihren Augen zu begegnen.
    Sie deutet auf die Mappe im Gepäcknetz und fragt, was da drin sei.
    «Bilder», sagt er, und sie dürfe sie ansehen, wenn sie wolle. Das wolle sie, sagt sie und holt die Mappe aus dem Netz. Er blättert ihr vor, und nach dem fünften Bild fragt sie: «Malst du die?»
    «Ja», sagt er und ist schüchtern geworden. Er wartet auf ein Lob.
    Ihm gefällt, wie sie die Bilder ansieht. Mittlerweile blättert sie selbst. Es scheint, als habe sie ihn vergessen. Manchmal brummt sie etwas vor sich hin, das er nicht verstehen kann, und einmal blättert sie zurück und sagt: «Das gefällt mir.»
    Ein andermal deutet sie auf eine Einzelheit und sagt: «Ui.»
    Jetzt ist er so schüchtern geworden, daß er seine eigenen Schluckgeräusche hört, wie das Dröhnen einer Steinbruchsdetonation. Aber zu der Verlegenheit ist auch das spannende Kitzeln der nahen Wärme ihrer Haut gekommen. Er ist nicht nahe genug, die Wärme zu spüren. Ein Zentimeter fehlt. Um das Kitzeln auszukosten, konzentriert er sich darauf, nicht näher an sie heranzurücken. Er will die Wärme wissen. Er will sie nicht spüren.
    Seinetwegen könnte der Zug jetzt mit Maschinenschaden stehenbleiben. Aber dann wären in einer Viertelstunde genügend Busse da. Es ist leider nicht mehr so wie in den alten Filmen, wo der Drehbuchschreiber sich raussuchen konnte, welche Katastrophe er zum besseren Kennenlernen der Hauptdarsteller heranziehen will.
    «Sehr düster», sagt sie zu einem Bild. Drei Blätter weiter nimmt sie eines in die Hand, um Einzelheiten zu enträtseln. Sie dreht das vorhergegangene Bild um, damit sie einen weißen Hintergrund hat, und legt das Blatt in die Mitte. Es ist eine Mischtechnik aus Aquarell, Kaffee, Tusche und Bleistift. Sie probiert verschiedene Abstände aus, sieht es aus verschiedenen Blickwinkeln an, hält es näher ans Licht des Mittelgangs und studiert es richtig, als wäre es eine Aufgabe, die sie zu lösen hat. Dann sagt sie: «Das ist aber sehr schön .»
    Sig räuspert sich: «Es heißt Das definitive Vielleicht.»
    «Und wie heißt du?»
    «Sig.»
    «Sig?»
    «Oder Siggi, wenn dir das besser gefällt.»
    Sie lächelt amüsiert: «Nicht vielleicht Siegfried oder so?»
    «Doch schon. Aber ich verbiete alles außer Sig und Siggi.»
    Sie zuckt die Schultern: «Na gut, ich heiße Regina. Nicht Reg oder Reggie.»
    So
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