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Einsam, zweisam, dreisam

Einsam, zweisam, dreisam

Titel: Einsam, zweisam, dreisam
Autoren: Thommie Bayer
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daß du, immer einen Schritt voraus sein mußt. Du diktierst das Geschehen, als wärst du der Regisseur. Macht es dir denn nichts aus, daß das Ganze dadurch bloß ein Film ist? Genügt dir das? Willst du nicht mehr? Warum inszenierst du, anstatt zu erleben? Willst du irgendwas korrigieren?
    Wenn du vor dem Spiegel stehst, suchst du dann deinen Körper nach Fehlern ab? Sicher tust du das. Und sicher findest du auch welche. I ch würde keine finden.
    Vielleicht ist mein Ideal dir ähnlicher als dein eigenes?
    Warum hältst du mich wie an einer Abschleppstange? Ich kann nicht weg und darf nicht da sein.
    Und jetzt bist du weg, und ich soll mich überraschen lassen, ob du bloß mal eben Zigaretten holst oder nach Australien bist.
    Zusammengesunken wie ein verlassener Rucksack sitzt das Wesen auf seinem Stuhl. Thommie schaut prüfend über den Tisch, als wäre er der Mann vom Fundbüro und müsse entscheiden, ob man das Ding jetzt ins Regal packt oder wegschmeißt.
    «Was war das?» fragt das Wesen. «Was war das, was ich da eben gedacht hab?»
    Thommie scheint verlegen. Es tut ihm leid, daß er seinen Helden so traurig gemacht hat: «Das gehört eigentlich gar nicht hierher.» «Dann streichs wieder raus!»
    Das klingt wie der Schrei eines geschlagenen Kindes, und Thommie schämt sich. Mit solchem Schmerz hat er nicht gerechnet. «O.   k., ich streichs», sagt er leise.
    «Wer bin ich?» fragt das Wesen.
    «Du bist ein junger Mann, der heut seinen einunddreißigsten Geburtstag feiert. Du bist sympathisch und beweglich. Du wirst es gut haben in dieser Geschichte, hab keine Angst. Jetzt mußt du aber los. Die Hauptgeschichte fängt gleich an.»
    «Gib mir noch was zum Anziehen. Ich will nicht im T-Shirt raus. Außerdem hab ich noch deine Schuhe an. Ich will eigene.»
    «O.   k.» Thommie schreibt alles nötige hin, und ein seltsam, aber warm gekleideter junger Mann verläßt das Lokal. An der Tür winkt er noch einmal zurückt, dann ist er verschwunden.
    «Viel Glück», murmelt Thommie.
    Und das klingt ein bißchen traurig.

F ür Walter, Ingrid, Erna, Konstantin, Anna, Moritz, Hermann, Fritz, Elfriede und Emiliobert.
    Und Simone und Georg, obwohl die bloß Puppen sind.
    Und für den Tiger.

W enn Kinder innerhalb der Regeln nicht gewinnen können, dann schreien sie einfach laut: «Das giltet nicht!» Sig Baumbusch konnte bis heute nicht gewinnen. Auch er versucht, sich selbst davon zu überzeugen, daß es «bis jetzt nicht gegolten habe».
    Er fühlt sich unter Zeitdruck, denn heute ist sein Geburtstag. Geburtstage sind individuelle Sylvester, an denen man von sich verlangt, was man sich bisher geschenkt hat.
    Sig hat sich irgendwie das Leben geschenkt. Er hat sich so durchgetrödelt, dachte, wenn er jeden Abend müde sei, wäre das genug, und er müsse nur gelegentlich den Schoß hinhalten, in den ihm das Glück dann schon irgendwann fallen würde.
    Es fiel aber nicht.
    Die OEF -Agenten im Himmel machen nicht nur räumliche Vertausch-Aktionen, sondern auch zeitliche. Sig ist das Opfer solch einer Zeit-Aktion. Er hätte in den frühen zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts einunddreißig werden sollen. Ein Maler in einer Zeit, in der die Malerei noch zu neuen Ufern aufbrach.
    Damals hieß die «Selbstverwirklichungs-GmbH» noch «Kanonenfutter-Beschaffungs-Amt», und die OEF -Leute legten Sig jahrelang Tag für Tag auf dem Band nach hinten. So daß er fast sechzig Jahre lang nicht ausgeliefert wurde.
    So war er, als er schließlich doch zur Welt kam, völlig veraltet. Er wurde geboren mit einer mittlerweile total unzureichenden Ausrüstung an Einsicht, Globalität und Anpassungsfähigkeit.
    Kein Wunder, daß ihm das Glück nicht mehr in den Schoß fiel. Es war längst in den Schoß eines anderen gefallen. Und der hatte nichts damit anfangen können. Was sollte ein einfacher Breslauer Lohnbuchhalter in den zwanziger Jahren auch mit dem Angebot eines gewissen Gustav Klimt aus Wien anfangen, er solle am Beethovenfries mitarbeiten? Nichts, natürlich.
    Der brave Georg Prittwice, so hieß der Buchhalter, schmiß den Briefeinfach weg, denn er hielt ihn für einen der weniger gelungenen Scherze seiner Sangesbrüder von der «Harmonia Breslau», die immer zu Dummheiten aufgelegt waren.
    So kommt es, daß Sig als Maler immer noch daran arbeitet, die Gegenständlichkeit zu überwinden, während seine Kommilitonen an der Kunstakademie schon längst die Malerei überwunden haben.
    Er sitzt im Zug von Stuttgart nach Freiburg. Eben
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