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Irgendwann ist Schluss

Irgendwann ist Schluss

Titel: Irgendwann ist Schluss
Autoren: Markus Orths
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Erich, Erich
    1 – Ich
    H eute Morgen ist es passiert, gegen elf Uhr dreißig. Ich saß am Tisch, starrte vor mich hin, es klingelte, ich ging zum Türöffner, eine Stimme murmelte etwas von Paketpost, ich drückte den Summer, wartete und dachte daran, wie oft ich in meinem Leben auf irgendwas gewartet hatte und wie viel Zeit der Mensch mit Warten verbringt. Aber ich konnte meine Gedanken nicht zu Ende führen, denn ein Mann, der ein Päckchen in der Hand hielt, kam auf mich zu. Das Päckchen hatte die Größe eines Schuhkartons. Der Mann reichte es mir nicht, sondern stellte es neben die Tür auf den Boden.
    »Sind Sie Erich Cramm?«, fragte er, nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte.
    »Ja«, sagte ich.
    »Der Sohn von Hans Cramm?«
    »Ja. Wieso?«
    Im nächsten Augenblick schlug er zu.
    Ich hatte kaum Zeit gehabt, ihn mir anzusehen. Sein Gesicht wirkte auf den ersten Blick spanisch, braun gebrannt, dazu ölige Haare und Fusselbärtchen. Er drosch auf mich ein, meine Haut platzte auf, Blut im Mund erstickte mein Stöhnen. Ich krabbelte durch den Flur, der Mann kam hinterher, zog mich hoch und schlug harte, trockene Schläge. Ich wehrte mich nicht, ich hab mich noch nie wehren können, ich bin zu schwach, mir fehlen der Biss und die Fähigkeit zur Wut. Ich ließ mich hängen wie eine Puppe, hob nicht mal die Hände zum Schutz. Nach einer Weile ließ der Mann von mir ab. Wir keuchten. Er vor Anstrengung, ich vor Schmerzen.
    Er sagte: »Wir werden immer da sein!«
    Dann ging er zur Tür, nahm das Päckchen, brachte es ins Wohnzimmer, und ich konnte nicht erkennen, was er dort tat. Nach zwei Minuten kehrte er ohne Päckchen zurück in den Flur, drehte sich noch mal zu mir, sagte »Keine Polizei!«, machte eine hässliche Geste und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Mein Ohr fiepte. Ich schleppte mich ins Bad. Das Waschbecken färbte sich rot, als ich mit dem Lappen die Wunden betupfte. Ich glaubte, ein Geräusch zu hören, fuhr herum, aber das war nur der verspätete Schreck. Kopfschmerzen setzten ein, ich kramte in meinem Schrank nach Aspirin, schluckte eine und ging ins Wohnzimmer. Der Mann hatte das Päckchen geöffnet und auf den Boden gestellt: Es war leer jetzt, Löcher im Deckel, winzige Luftlöcher, ich schluckte, sah mich im Zimmer um, bemerkte aber nichts Verdächtiges.
    Ich schnappte mir die Jacke und verließ das Haus. Mein Auto stand in der Tiefgarage. Ich fuhr durch die Stadt und wusste nicht, wohin. Da rollte mir ein Ball vors Auto, ich trat auf die Bremse, kam auch zum Stehen, der Ball tupfte kurz gegen die Stoßstange und hoppelte weiter. Ich wartete auf ein Kind. Aber da kam keins. Die Straße blieb leer. Hinter mir zeigte sich kein Fahrzeug, ich stieg aus und sah nach. Der Ball war liegen geblieben, ein blauer Gummiball, ich nahm ihn vom Boden, die Straße wie leergefegt, ich blickte nach oben und fragte mich, ob jemand den Ball aus einem der Fenster geworfen haben könnte. Ich legte den Ball auf den Bürgersteig, fuhr zurück nach Hause, ließ den Wagen draußen stehen und lief die Treppen hoch, so schnell ich konnte, in meine Wohnung. Von innen drehte ich zweimal den Schlüssel.
    Erst im Wohnzimmer sah ich die Spinne, fett, behaart, eine Vogelspinne, eine Tarantel, keine Ahnung, sie saß ganz ruhig dort, in der Mitte des Zimmers, sie schien nichts zu tun. Ich nahm vorsichtig einen Brockhaus-Band aus dem Regal, trat näher, meine Haare richteten sich auf, als hätte jemand mit einer Gabel über ein Heizungsrohr gekratzt. Die Spinne war handtellergroß. Ich zielte und warf den Brockhaus. Mit allem hätte ich gerechnet, nur nicht mit dem schrillen Pfiff, den die Spinne ausstieß, ich hatte immer gedacht, Spinnen seien von Natur aus stumm, aber das stimmt nicht, es war ein klagender, Mitleid erregender Laut. Vier Beine schauten noch unterm Brockhaus hervor. Sie zuckten. Ich stellte mich mit meinem ganzen Gewicht auf das Buch, es wackelte, und am Rand quoll jetzt orange-gelber Brei hervor. Ich ging ins Bad und übergab mich, zog mir Gummihandschuhe an, kratzte die Spinnenreste mit dicken Lagen Küchenpapier vom Boden und stopfte das Papier mitsamt Lexikon in einen Müllsack. Dann betrachtete ich das leere Päckchen. Es war groß genug für zwei Spinnen, ich hoffte aber, dass der Spanier es bei der einen belassen hatte. Vielleicht, dachte ich, kommt er nicht aus Spanien, sondern aus Südamerika.
    Sie sind zu dritt. Bis jetzt. Ich nenne sie Gonzales, Kuttner und Wischnewski. Kuttner war als
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