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Die Verschwoerung der Fuersten

Die Verschwoerung der Fuersten

Titel: Die Verschwoerung der Fuersten
Autoren: Susanne Eder
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KAPITEL 1
    Hoftage zu Worms, Herbst im Jahre des Herrn 1065
     
     
     
    P enelope, die Domkatze, lag eingerollt auf einem Fenstervorsprung der Bischofskirche St. Peter und Paul zu Worms und schien tief zu schlafen. Hinter ihr erhob sich die Nordfassade des mächtigen Doms mit seinen gewaltigen Mauern und Türmen. Vor dem Hintergrund der mit hohen Säulen und runden Bögen eingerahmten Fenster wirkte Penelope selbst wie ein Teil der Einfassung, als hätte ein begnadeter Steinmetz ihren reglosen grauen Katzenkörper zum Gedenken an Gottes Schöpfung in das steinerne Sims gemeißelt.
    Um Mitternacht hatte die Glocke zur Matutin gerufen, dem letzten Gebet des Tages, und aus dem Innern des Doms waren die Gesänge und Gebete der Domherren auf den Pfalzhof gedrungen. Jetzt waren die Gebete verstummt. Die Domherren hatten sich zur Nachtruhe in ihr Kapitelhaus hinter dem Dom zurückgezogen. Nur noch die nörgelnde Stimme von Wipert, dem Thesaurarius, war zu hören, dessen Aufgabe es war, zur Nacht die Türen und hölzernen Läden zu schließen und alle Kerzen, Fackeln und Talglichter zu löschen.
    Von ferne drangen schwache Geräusche vom Marktplatz herüber, der jetzt, kurz vor Michaeli, auch nachts mit Mensch und Vieh überfüllt war. Irgendwo in der Stephansgasse miaute ein Kater laut seine Ballade an die Auserkorene,
und von der rückwärtigen Seite des Doms – vom Friedhof der Taufkirche St. Johannes – konnte man das Kichern einer Hure und gedämpftes Grölen hören. Gegen das strikte Verbot der Kirche und sehr zum Verdruss des Burggrafen von Worms pflegte sich dort nachts das zwielichtige Gesindel der Stadt zu treffen – Trunkenbolde, Spieler, Dirnen, Bettler und Beutelschneider und andere üble Gesellen, die im Schutz der Kirchhofsmauer ihren lasterhaften Geschäften und Vergnügungen nachgingen.
     
    Schabende Geräusche von groben Holzsohlen auf Stein kamen von der Friedhofsmauer, und die Katze stellte die Ohren auf. Meist kletterte das Lumpenpack auf der anderen Seite, zur Andreasgasse hin, über die Friedhofsmauer; zum einen, weil sie dort niedriger war, zum anderen, weil der pflichtvergessene Gehilfe von Pater Emeram auch manchmal versäumte, die Pforte abzuschließen. Jetzt aber kletterte jemand ungeschickt über den Teil der Mauer, die den Kirchhof zur Ostseite hin abgrenzte, und fluchte dabei wie ein Ochsentreiber.
    »Gottverdammeusch«, nuschelte die schwerzüngige Stimme. »Ich werdscheuchschonnochzeign. Gottverfluchtesch Pack, elendigesch.« Ein Geruch von Gerbstoffen, Schweiß und Fusel, Urin und fauligem Fleisch eilte Schnorr, dem Gerber, voraus, und seine Ausdünstungen verdrängten den erdigen Duft der Herbstblätter.
    Es war nicht das erste Mal, dass Schnorr nach einem nächtlichen Gelage auf dem Friedhof die Richtung verfehlte und über den Pfalzhof nach Hause wankte. Ärgerlich vor sich hin brabbelnd, torkelte der Gerber unter Penelopes Sims vorbei und schwankte dann im Zickzackkurs hinter die Quartiere der Hörigen. Schnorrs trunkener Monolog ging jäh in Würgen und leises Grunzen über. Es ertönten noch ein paar halb erstickte Schnarchlaute, dann
war es still. Penelope, offenbar wieder beruhigt, begann sich zu putzen. Ihre kleine rosa Zunge fuhr eifrig über ihr Fell, und mit der Akribie eines Miniaturenmalers nagte sie mit ihren spitzen Zähnen die Krallen ihrer Pfoten sauber. Bis sie erneut gestört wurde. Vorsichtige Schritte kamen aus der Diebsgasse in ihre Richtung. Eine dunkel verhüllte Gestalt schlich an den Ställen vorbei, huschte unter dem Fenstervorsprung der Katze zum Ostchor und verschwand dort hinter einem Pfeiler. Penelope reckte den Kopf über das Sims. Eine Weile lauschte die Katze mit angespanntem Körper, dann schien sie sich davon überzeugt zu haben, dass von der Gestalt keine Gefahr für sie drohte. Sie rollte sich ein und schloss die Augen.
    Nicht lange danach verließ ein hochgewachsener Mann die gegenüberliegende Stephanskapelle und spazierte über den Platz. Er trug das knielange Obergewand eines hochgestellten Geistlichen – eine rote, mit prächtigen Goldstickereien verzierte Dalmatika – über seiner weißen, bodenlangen Albe und hielt eine Laterne in seiner Rechten. Seiner Anwesenheit auf dem Pfalzhof zollte Penelope nur mehr ein kurzes Blinzeln.
    Seit Adalbert, der Erzbischof von Bremen und Hamburg, vor ein paar Tagen zusammen mit dem König und dessen Gefolge in Worms eingetroffen war, hatte er sich stets nach der Matutin noch einmal kurz die Beine
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