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Liebe auf den zweiten Kuss

Liebe auf den zweiten Kuss

Titel: Liebe auf den zweiten Kuss
Autoren: Jennifer Crusie
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    Der Mann hinter dem unaufgeräumten Schreibtisch sah aus wie der leibhaftige Teufel, doch Nell Dysart, die sich bereits seit anderthalb Jahren in einer Art Hölle befand, störte sich nicht daran. Gabriel McKenna gegenüber zu sitzen hieß lediglich, dass sie nun tatsächlich in der Hölle angekommen war.
    »Stimmt, der Sache sollten Sie vielleicht tiefer auf den Grund gehen«, sagte er in den Telefonhörer, in seiner Stimme kaum verhohlene Ungeduld. Die durchdringenden Augen funkelten vor Ärger, während er Nell gleichzeitig keines Blickes würdigte.
    Es war unhöflich, in ihrer Gegenwart zu telefonieren. Andererseits hatte er keine Sekretärin, die für ihn die Gespräche entgegennahm. Sie wiederum bewarb sich lediglich auf eine Stelle und war keine Klientin, und er war Detektiv und kein Versicherungsangestellter. Vielleicht lag es daran, dass die herkömmlichen Benimmregeln nicht griffen.
    »Ich komme Montag vorbei«, sagte er. »Nein, Trevor, abwarten wäre nicht die bessere Möglichkeit. Wir unterhalten uns um elf darüber.«
    Er klang, als würde er mit einem nervigen Verwandten sprechen und nicht mit einem Kunden. Dem Berufsstand der Detektive musste es wohl um einiges besser gehen, als dieses Büro den Anschein vermittelte, wenn er sich Kunden gegenüber so benehmen konnte – noch dazu Kunden mit dem Namen Trevor. Der Einzige ihr bekannte Trevor war der Vater ihrer Schwägerin, und der war so reich, dass es zum Himmel stank. Vielleicht war Gabe McKenna tatsächlich einflussreich und erfolgreich und brauchte lediglich jemanden, der ihm sein Büro wieder auf Vordermann brachte. Das sollte für sie kein Problem sein.
    Nell blickte sich in dem schäbigen Zimmer um und versuchte positiv zu denken. Das Zimmer wirkte düster an diesem Septembernachmittag, und die Tatsache, dass die uralten Jalousien vor den ebenfalls alten riesigen Fenstern heruntergelassen waren, machte es nur noch düsterer. Das McKenna-Gebäude befand sich an der Kreuzung zweier recht ordentlicher Hauptverkehrsadern im German Village. In dieser Gegend ließen es sich die Leute viel Geld kosten, dass sie aus dem Fenster sehen und auf die historischen Backsteingebäude Ohios blicken konnten. Gabriel McKenna jedoch hatte seine Jalousien herunter gelassen, vermutlich um die Unordnung im Zimmer nicht sehen zu müssen. Die Wände waren mit verstaubten, gerahmten Schwarzweißfotos von Anno dazumal bedeckt, die Möbel hatten eine Reinigung und etwas Möbelpolitur dringend nötig, und sein Schreibtisch musste regelrecht ausgemistet werden. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nirgends so viel Müll auf einem einzigen Tisch gesehen. Allein die Styroporbecher würden...
    »Richtig«, bestätigte er mit tiefer, selbstsicherer Stimme. Das Licht der grünverglasten Schreibtischlampe warf Schatten auf sein Gesicht, doch da er die dunklen Augen geschlossen hatte, sah er nicht mehr annähernd so teuflisch aus wie zuvor. Eher wie ein ganz normaler Geschäftsmann in den Vierzigern – mit dunklen Haaren, breiten Schultern, gestreiftem Hemd und gelockerter Krawatte. Wie Tim.
    Nell erhob sich unvermittelt und ließ ihre Handtasche auf den Stuhl sinken. Sie trat auf das große Fenster zu und wollte die Jalousie hochziehen, um etwas mehr Licht herein zu lassen. Wenn das Zimmer erst einmal aufgeräumt wäre, könnte er die Jalousie oben lassen und so einen besseren Eindruck erwecken. Kunden erledigten Geschäfte lieber bei Tageslicht und nicht in einer Art Hölle. Sie zupfte an der Kordel, doch die klemmte. Sie zog erneut, nunmehr etwas energischer, und hielt plötzlich die Kordel in der Hand.
    Na wunderbar! Sie warf einen Blick über ihre Schulter. Die breiten Schultern vorgebeugt, telefonierte er immer noch. Sie legte die Kordel auf das Fensterbrett, doch mit einem hohlen, klopfenden Geräusch fiel die Schnur mit dem Plastikgriff voran auf den Hartholzboden. Nell lehnte sich gegen die Jalousie am Fenster und versuchte, die Kordel zu erreichen, die hinter den Stuhl gerutscht war. Fast hätte sie sie mit den Fingern greifen können. Wieder etwas, was außerhalb ihrer Reichweite lag. Sie lehnte sich noch fester gegen die Jalousie und streckte ihre Finger aus.
    Das Fenster knackte unter ihrer Schulter.
    »Wir sehen uns am Montag«, sagte er in den Hörer. Schnell stieß sie die Kordel hinter die Heizung und setzte sich, ehe ihm auffiel, dass sie im Begriff war, sein Büro zu zerstören.
    Nun musste sie den Job schon allein deswegen bekommen, um die Spuren ihrer
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