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Einsam, zweisam, dreisam

Einsam, zweisam, dreisam

Titel: Einsam, zweisam, dreisam
Autoren: Thommie Bayer
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ein blöder Name wie seiner sei das zwar nicht, aber passen würde das auch nicht zu ihr, findet er. Klänge so streng.
    «Ich kann streng sein», sagt sie und blättert weiter durch die Mappe.
    Schließlich lehnt sie sich zurück und klappt die Mappe zu. Sie zündet sich eine Zigarette an und sagt: «Danke fürs Zeigen.»
    Sig, der das Bild, das sie so mochte, vor dem Verstauen der Mappe herausgenommen hat, sagt: «Schenk ich dir», und legt es in ihren Schoß.
    In seiner Hand hat es sich eben angefühlt, als müsse es welken, wenn er es nicht sofort hergibt. Sie sagt nichts, schaut bloß in ihren Schoß, und Sig ist froh, auch dorthin sehen zu dürfen.
    «Nein.»
    «Doch.»
    Ihre Augen suchen etwas zu gründlich nach einer Erklärung in seinem Gesicht. Schnell, um nicht doch noch rot zu werden, sagt er: «Ich schenk’s dir zu meinem Geburtstag. Ich bin heute einunddreißig geworden.»
    Gott sei Dank sieht sie wieder das Bild in ihrem Schoß an. Es liegt dort, als könne es gleich loskrabbeln. Schließlich holt sie ein Buch, groß wie ein Schulatlas, aus ihrem Korb und legt das Blatt vorsichtig zwischen Deckblatt und erste Seite. Sie packt alles in den Korb zurück und sagt leise: «Das kann ich nicht verstehen.»
    «Ich auch nicht», sagt Sig, «aber es fühlt sich gut an.»
    Wieso ist er nur so mutig. So kennt er sich gar nicht. Er kann schon reden, aber nicht bei Menschen, die ihn interessieren. Nur Leute, die ihn innerlich kaltlassen, kommen normalerweise in den Genuß seiner Schlagfertigkeit. Wenn ihm jemand gefällt, ist er eher wortkarg. Und wenn ihm jemand so sehr gefällt, wie ihm diese rosenmundige Regina gefällt, dann müßte er eigentlich stumm wie ein Fisch nach dem Kochen sein. Er ist aufgeregt.
    Sie kramt eine Tüte aus ihrem Korb, und aus der Tüte fingert sie zwei belegte Brote. Eins davon hält sie ihm vors Gesicht, als wäre er ein kleiner Hund, den sie vorhat, ohne Genehmigung des Herrchens zu verwöhnen.
    «Salami», sagt sie und «Mmmmmhhh».
    Er schaut sich das Brot wohl etwas zu zweifelnd an. Vor allem weit davon entfernt, sofort zuzuschnappen. Sie fragt: «Kein Hunger?»
    «Nicht auf Salamibrot.»
    «Auf was denn?»
    «Rosensalat.»
    «Du bist frech.»
    «Ja.»
    «Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.»
    Es ist der zweiundzwanzigste April im Jahre Neunzehnhundertfünfundachtzig, und wenn Sig nur sechzig Jahre alt wird, hat er das Ärgste schon hinter sich.
    Er möchte sehen, wie ihre Lippen sich bewegen, deshalb fragt er sie aus. Vor lauter Lippen hört er allerdings kaum zu. Nur am Rande bekommt er mit, daß sie im zwölften Semester Deutsch studiert, eigentlich fürs Lehrfach eingeschrieben ist, aber nicht an die Schule will. Sie will in Wahrheit nicht mal fertig werden. Will sich an der Uni verkriechen. Sagt, in der richtigen Welt sei mit ihr nichts anzufangen. Die guten Eigenschaften, die sie habe, hätten in der richtigen Welt keine Bedeutung, und ihre neutralen Eigenschaften gälten dort als schlechte.
    Kaum rätselt Sig darüber nach, was sie wohl mit «Der richtigen Welt» meinen könnte. Kaum fragt er sich oder sie, was denn diese guten, schlechten und neutralen Eigenschaften seien. Kaum denkt er nach über die Frage, wo sie denn zu leben glaube, wenn das hier nicht die richtige Welt sei. Er stellt Fragen, an die er sich gleich nicht mehr erinnern kann. Er will nur, daß sie nicht aufhört zu reden.
    Wann immer sie aus dem Fenster schaut, versucht er seinen Blick auf ihren Pullover zu schmuggeln. Leider trägt sie die Art von Pullover, die unbefugte Blicke sofort zurückwirft. Er kann die Form ihrer Brüste nicht erraten. Ihre schulterlangen, walnußbraunen Locken sind mit zwei Kämmen über die Ohren nach hinten gefaßt. Die graublauen Augen haben opalisierende Lichtflecke. Er vermutet, daß diese Augen auch kahl wie Schiefer oder weich wie das Fell einer Maus sein können. Ihr zarter Körper verschwindet fast zu zwei Dritteln in dem viel zu großen Pullover. Daß er so wenig von ihr sehen kann, steigert Sigs Sehnsucht und Begierde.
    Sie macht seltsame Gebärden mit den Händen. Die schlanken Finger mit breiten Knöcheln vollführen kleine Tänze, die oft mitten in der Bewegung abbrechen, so daß die Hände in der Luft stehenbleiben, wie unschlüssige kleine Hubschrauberchen. Er ist verliebt in diese halbfertigen Gesten.
    Wann immer sie ihre tiefliegenden Michelangelo-Augen nicht auf ihn gerichtet hat, findet er Einzelheiten, die er innerlich mitschreibt: Eine anrührende
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