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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance
Autoren: Karin Alvtegen
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der gefühlsmäßigen Kontaktfähigkeit, sagten sie. Ich weiß es noch Wort für Wort. Und natürlich auch noch das, was sie glaubten, woran es lag.« Er seufzte und sah zum Fenster. »Während dieser Zeit habe ich viel über mich selbst gelernt. Es ist schon ein merkwürdiges Ding, das wir zum Denken verwenden, niemand versteht es richtig. Das ganze Leben hindurch baut es sich um, je nachdem, was wir denken und tun. Aber wenn man einen einzigen Ratschlag geben kann, dann den, dass man vorsichtig in der Wahl seiner Eltern sein sollte.«
    »Danke, das werde ich mir merken.«
    Verner hielt seinen Blick auf das Fenster gerichtet. »Es ist viel, was in diesen ersten Jahren heranwachsen soll, auch im Kopf. Und wenn die Eltern das Einzige sind, worauf man sich verlassen kann …« Die Katze tauchte in der Tür auf und rieb sich am Türpfosten, ehe sie zu Verner trippelte und auf seinen Schoß sprang. »Ich erinnere mich kaum an die Zeit, bevor ich in die Anstalt geschickt wurde. Nur, dass ich immer einsam war. Ich durfte den Hof nicht verlassen, und zu Hause war niemand, der mit mir sprach. Es war, als gäbe es mich nicht.« Er verstummte, und seine Gedanken schienen abzuschweifen, während er der Katze über den Rücken strich. Schnurrend trampelte sie ein bisschen herum, ehe sie sich auf seinen Schoß kuschelte. »Ich saß nicht einmal mit am Tisch, wenn sie aßen, ich hatte meinen Essplatz auf dem Boden bei dem Hund.«
    »Was für Schweine.«
    »Das kann man meinen. Aber auch sie sind von jemandem geformt worden, als sie klein waren, und bei dem, was sie gelernt hatten, war kein Platz für solche wie mich.«
    Anders saß eine Weile schweigend da. »Warum sind Sie eigentlich zurückgekommen, nach allem, was sie Ihnen angetan haben?«
    Verner gab einen Laut von sich, etwas zwischen einem Seufzer und Schnauben. »Ja, sicher ist das merkwürdig. Aber wissen Sie, das ganze Leben lang habe ich darüber nachgedacht, warum meine Mutter es so gemacht hat, wie sie es gemacht hat. Es spielte keine Rolle, wie weit weg ich gefahren bin. Ich habe eine Art von Erklärung gebraucht.« Er wischte sich mit dem Finger die Nase ab. »Oder vielleicht eine Wiedergutmachung.«
    Anders blieb eine Weile stumm. »Haben Sie die bekommen?«
    Verner zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Sie ließ mich ja immerhin hier oben wohnen.«
    Anders sah sich in dem Wirrwarr um. Keine besondere Genugtuung, könnte man meinen. Ein baufälliges Häuschen ohne Strom und Wasser, aber offenbar wollte Verner hier wohnen bleiben. Wenn man Stromleitungen verlegen und es isolieren würde? Ein paar Schreiner hinschicken? Falls Verner damit einverstanden wäre. Man musste genau überlegen, wie man ihm diesen Vorschlag machen könnte, wenn er schon eine Malerleinwand nur zögernd annahm. Anders fühlte, wie die Idee ihn belebte.
    »Was hat Ihre Mutter in dem Brief geschrieben?«
    »Keine Ahnung.«
    »Haben Sie ihn denn noch nicht gelesen?«
    »Nein. Ich habe ihn verbrannt.« Verner hob die Katze vom Schoß und ging zum Fenster, stützte sich mit den Händen am Rahmen ab und sah hinaus. »Ich habe beschlossen, dass sie die Worte geschrieben hat, nach denen ich mich immer gesehnt habe, also ist es für mich jetzt so. Wenn Sie wüssten, was für eine Erleichterung das ist.«
    Anders betrachtete seinen Rücken, wieder einmal fasziniert von diesem Mann. Verner hatte seine Gedanken verändert und damit auch seine Welt. Genau wie er selbst es in den letzten Tagen getan hatte. Was kam eigentlich zuerst – der Gedanke oder die Wirklichkeit?
    Er saß eine Weile da und dachte nach. Schaute noch einmal zu Verner hin und wünschte, er hätte ihn schon früher im Leben getroffen. »Lieber Verner, da Sie so viel gelesen haben und so klug wirken, was meinen Sie, worauf läuft das alles hinaus?«
    »Was denn?«
    Anders breitete die Hände aus. »Das mit dem Leben.«
    Verner drehte sich mit erstaunter Miene um. »Das Leben? Das läuft doch wohl nicht auf etwas Bestimmtes hinaus. Muss es das tun?« Anders antwortete nicht. Er hatte schon gedacht, dass es das müsste. »Aber was weiß ich, vielleicht tut es das ja. Besonders eilig ist es jedenfalls nie, das ist wohl das Einzige, was ich begriffen habe. Denn was oder wohin glaubt man, es schaffen zu müssen?«
    »Nun, genau das ist es, was ich gefragt habe.«
    Verner setzte sich wieder auf den Stuhl. »Könnte ich noch einmal anfangen, mit allem, was ich bisher gelernt habe, gibt es Dinge, die ich anders machen würde. Es bleibt einiges,
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