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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance
Autoren: Karin Alvtegen
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hatte sie um Sinn und Verstand gebracht. Das und die Angst davor, verlassen zu werden. Er hatte sie verraten und sich für eine andere Frau entschieden. So hatte sie gedacht und sich ein halbes Jahr lang in der Demütigung gewälzt. Die Schuld an der Trennung lag nur bei Martin, sie durfte nirgendwo anders sein. Doch als er gestern vor ihr gestanden hatte, musste sie der Wahrheit ins Auge sehen. Ihr Umzug von Stockholm war nichts anderes gewesen als ein Versuch, sich aus ihrer Beziehung zu befreien. Eine Art, den Entschluss zu erzwingen, den sie sich selbst verboten hatte. Denn eigentlich hatte sie von Anfang an gewusst, dass er sich in Norrland nie wohlfühlen würde.
    Anders hatte Feuer gemacht, als sie herunterkam. Er hatte Verners Bild auf den Kaminsims gestellt und eine Kanne Tee aufgebrüht, sie freute sich, als sie die zweite Teetasse zwischen den Sesseln sah.
    »Da bist du ja, es gibt Tee, wenn du willst.«
    »Gern.«
    Sie setzte sich, und er beugte sich vor, um ihr einzuschenken. »Drei Sandwichtorten sind übrig geblieben, falls du Hunger hast. Sie haben es nicht geschafft, viel zu essen, bevor Verner kam.«
    Er hatte ihr beschrieben, was während des Beerdigungskaffees passiert war, und jetzt lächelte sie wieder, erstaunt darüber, dass dieser Reflex noch funktionierte, unabhängig davon, wie ihr zumute war. Aber seltsamerweise war da auch ein Gefühl der Befreiung.
    Zurückgelehnt, in geruhsamer Stille saßen sie da und nippten an ihrem Tee. Als das Feuer langsam auszugehen drohte, legte er Holz nach. Die Glut kroch die trockenen Scheite hinauf und wuchs zu lodernden Flammen. Anders blieb davor stehen, hob die Hand und strich vorsichtig mit dem Finger über die Kastanie auf Verners Bild. »Es ist wirklich ganz phantastisch, so malt nur ein wahrer Künstler.«
    Helena nickte. »Ich werde es wohl Anna-Karin bringen, wenn sie sich etwas beruhigt hat, vielleicht ist es wertvoll.«
    Er ging zurück und setzte sich. »Wenn sie es verkauft, kann sie sich ein Auto anschaffen. Habt ihr nicht gesagt, sie bräuchte eins, wenn Lasse und Lisbeth wegziehen?«
    »Meinst du, es ist so viel wert?«
    »Ja, sie wird sich ein Auto kaufen können. Ich kann das übernehmen, wenn du willst.« Er warf ihr einen unergründlichen Blick zu, doch sie hatte nicht die Kraft ihn zu deuten. Natürlich durfte er mit dem Bild zu Anna-Karin gehen, wenn er wollte, sie war froh, wenn sie es nicht tun musste.
    Anders stellte die Tasse ab. Ein paarmal schaute er in ihre Richtung, als würde er zögern, ihr etwas zu sagen. Er erinnerte sie an jemanden, der eine Rede halten wollte, sich aber vor den einleitenden Worten fürchtete.
    »Was ist?«
    Er räusperte sich mit der Hand vor dem Mund. »Es gibt da etwas, was ich erzählen möchte, was mit Verner zu tun hat. Das, was geschah, als wir in seinem Häuschen waren.« Er streckte sich wieder nach seiner Tasse, als suche er einen Halt. »Dieser Tag, an dem ich ankam.«
    »Ja?«
    »Ich hatte die Nacht im Krankenhaus von Sundsvall verbracht.«
    »Warum denn?«
    »Ich bin mit dem Wagen von der Straße abgekommen.«
    Ihr Blick schweifte zum Fenster, an dem sie gestanden hatte, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Mit geschlossenen Augen auf dem Fahrersitz seines Wagens sitzend. »Es war nicht der, mit dem ich angekommen bin, der andere ist mittlerweile Schrott.«
    »Meine Güte, war es so ernst? Du musst einen Schutzengel gehabt haben.«
    Er verzog den Mund, ohne zu lächeln. »Das könnte man meinen, es ist nur so, dass … es war kein Unfall.«
    »Wie meinst du das?«
    Er antwortete nicht, sondern schaute nur auf seine Tasse, und Helena verstand auf einmal, dass ihr gerade etwas sehr Persönliches anvertraut worden war. Etwas sehr Empfindliches, ihm fiel es schwer, es auszusprechen.
    »Aber. Warum?«
    Er zuckte die Achseln. »Das weiß ich tatsächlich nicht, ich erinnere mich nicht einmal daran, was ich mir gedacht habe. Das ist ja das Sonderbare, ich kann es nicht zu fassen kriegen.« Er verstummte für eine Weile, ehe er fortfuhr. »Ich war in einem Gefühl der Sinnlosigkeit hängen geblieben, als würde nichts mehr eine Rolle spielen. Aber dann kam ich hierher und fing an, den Stall zu streichen, und da geschah etwas.« Er breitete die Hände aus, in einem Versuch, das Unbeschreibliche zu deuten. »Ich verstehe selbst nicht, wie das möglich war. Vielleicht ist es einfach nur so, dass ich mit etwas beschäftigt war, das ich gewöhnlich nie tue, dass ich über etwas anderes nachdenken
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