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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten
Autoren: Ami McKay
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PROLOG

    I ch heiße Moth und stamme aus den Slums der Chrystie Street. Meine Mutter war die Wahrsagerin unseres Elendsviertels, mein Vater der Mann, der ihr das Herz brach.
    Als er davonlief, war ich drei Jahre alt. Er hatte das Mietgeld aus der Keksdose und unser einziges Silbergefäß mitgenommen – eine angelaufene Zuckerschale, die meine Mutter aus den rauchenden Trümmern eines Hauses an der Third Avenue geborgen hatte.
    Â»Geh nicht …!« Wie oft flehte Mama das im Schlaf und zerrte an unserer gemeinsamen Decke, als wäre es seine Jacke. In solchen Momenten sehnte ich den Morgen herbei, wenn sie sich auf ihren Hass besann. Wenn die Bitterkeit in ihr wieder wach war und sie aufrecht hielt.
    Nie nahm sie meine Hand. Nicht einmal einen Wangenkuss ließ sie zu. Wenn ich mich auf ihren Schoß setzen wollte, zog sie ein Gesicht und schob mich weg. »Ich habe dich als Baby in den Armen gehalten, bis sie mir fast abgefallen sind. Das, mein Kind, sollte genügen.«
    Es machte nichts. Ich liebte sie.
    Ich liebte die Art, wie sie sich ihr Seidentuch um den Kopf wickelte und die Enden seitlich herabhängen ließ. Ich liebte die Art, wie sie beim täglichen Blick in den Spiegel grinste, dabei Zähne und sogar das Zahnfleisch entblößte, ihr Tuch nach hinten über die Schulter warf und über dessen schwarzen Besatz fuhr, ehe sie das Schild, das von ihrer Tätigkeit kündete, in unser Fenster stellte. Auf dem Schild war eine elegante Hand mit langen Fingern zu sehen, über die Handfläche zogen sich allerlei Linien, Pfeile und Worte: Salomonring, Venusberg. Kopf, Herz, Schicksal, Glück, Leben. Dies waren die ersten Worte, die ich lesen konnte.
    Meinen Namen hatte mir mein Vater gegeben. Mama sagte, er sei ihm an einem Ort namens Pear Tree Corner in den Sinn gekommen – »als Einflüsterung eines uralten Birnbaums, der noch sämtliche Geheimnisse dieser Stadt kannte«. Der Apotheker, dem Haus und Laden gehörten, hatte meinem Vater gesagt, er könne den Baum alles fragen, und wenn er nur aufmerksam genug lausche, dann würde er auch eine Antwort erhalten. Das hatte mein Vater geglaubt.
    Â»Nenne das Kind Moth «, hatte der knotige Baum mit tief gesenkten Zweigen, die Blätter am Ohr meines Vaters, geraunt. Mama war damals dabei gewesen, schwerfällig, mit rundem Gesicht, mit mir im Bauch, sie aber hatte es nicht vernommen.
    Â»Es war seltsam und zauberhaft«, hatte es ihr mein Vater geschildert. »So, als ob ein schönes Mädchen dir zum ersten Mal von Liebe spricht. Ich schwöre bei Gott.«
    Mama hatte mich eigentlich Ada nennen wollen, nach der reichen Ada St. Clair, die ihr einmal begegnet war, doch das hatte mein Vater nicht erlaubt. Ihm war es einerlei, dass Miss St. Clair an jedem einzelnen Finger einen funkelnden Diamanten trug und zu ihren Füßen zwei Möpse keuchten. Er war fest davon überzeugt, es würde Unglück bringen, die Weisung des Baums zu missachten.
    Später, nachdem er uns verlassen hatte, hatte meine Mutter noch versucht, mich Ada zu rufen, doch es war längst zu spät. Ich hörte nur auf Moth.
    Â»Wo ist Papa?«, fragte ich immer wieder. »Warum ist er nicht da?«
    Â»Das wüsste ich selbst gern. Geh doch zu dem Baum und frage den.«
    Â»Und wenn ich mich verlaufe?«
    Â»Dann sieh zu, dass du nicht weinst. Wildschweine streifen nachts durch die Stadt, und die fressen nichts lieber als furchtsame Mädchen wie dich.«
    Mein Vater hatte noch Kohle in den Ofen gelegt, bevor er einfach fortging. Mama klammerte sich derart an diese letzte kleine Aufmerksamkeit, dass es sie fast in den Wahnsinn trieb. »Tut so was jemand, der nicht vorhat wiederzukommen?«, murmelte sie jedes Mal vor sich hin, wenn sie den Rost anhob und die alte Asche aus dem Ofen kehrte.
    Sie wusste genau, was mit ihm geschehen war, doch es war so alltäglich und grausam, dass sie es nicht glauben wollte.
    Mein Vater hatte ein Auge auf Katie Adams aus der Mott Street geworfen. Katie war sechzehn, ohne Kind und ohne Hemmungen. Mrs. Riordan, die im Hinterhaus wohnte, hatte einige Male beobachtet, wie die beiden es in der Gasse trieben.
    Â»Sie lügen doch!«, hatte Mama geschrien, als Mrs. Riordan ihr das erzählte, doch die Alte hatte nur den Kopf geschüttelt und erwidert: »Warum sollte ich denn lügen? Lügen bringen nichts ein.«
    Oft hatte Mama zum Fenster des Mädchens
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