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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten
Autoren: Ami McKay
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hinter mir und ging zur Second Avenue. Ich wagte mich durch das Getümmel aus Schubkarren und Passanten immer nur so weit vor, wie mein Mut reichte. Dabei waren diese Ausflüge, selbst für ein unbegleitetes Mädchen, recht sicher, nur an Gassen und dunklen Ecken hieß es, vorsichtig zu sein. Doch wenn ich die Houston Street erst einmal überquert hatte, zog sich mein Herz zusammen. Nicht, weil es von dort an gefährlich gewesen wäre oder Mama mir den Weg verboten hätte, sondern weil ich auf der anderen Straßenseite immer das Gefühl hatte, ich würde meinem eigentlichen Heim entgegengehen.
    Ich schaute in hell erleuchtete Häuser, die Gaslampen und auch sonst alles hatten, was ich für mich selbst begehrte. In der Second Avenue Nr. 110 stand ein attraktiver Gentleman beim Kamin, den Arm auf den Sims gestützt, den Mund jedes Mal zu einem zufriedenen »O« gerundet, wenn er an seiner Zigarre paffte. Im Salon von Haus Nummer 114 lagen drei kleine Buben bäuchlings auf einem geblümten Teppich und ließen Murmeln über dessen Blüten und Blätter kullern. Im Haus Nummer 116 saß ein Liebespaar auf einer Polsterbank und berührte sich kaum merklich an den Ellbogen. Eine dünnlippige Frau wachte über das Paar, die Arme vor der Brust verschränkt, als wollte sie sagen: Wagt es ja nicht . Ich leckte mir die Lippen nach so viel Licht und Leichtigkeit, meine Zunge brannte vor Sehnsucht nach einem solchen Leben wie nach einer seltenen Zuckerschleckerei.
    Geschäftsmänner paradierten in ihren maßgefertigten, vornehmen Anzügen und schwarz glänzenden Schuhen an mir vorüber. Straßenverkäufer schoben oder zogen Karren, auf denen die Ware auch bei Tagesende noch appetitlich und frisch war. Der Taubenmann, die Vögel in Paaren auf den Rücken gebunden, blies seine Pfeife. Ladeninhaber kurbelten ihre Markisen hoch, fegten Treppen, wirbelten Staubwolken auf und schauten missbilligend zu, wie sich der Dreck wieder in die Ritzen legte, so als müsste sich der Schmutz dafür schämen, diesen Häusern nahezukommen. Wenn ich von Mrs. Riordan nicht gewusst hätte, dass man erst den East River überqueren musste, ich hätte geschworen, ich wäre an jenem fernen schönen Ort, den sie Brooklyn nannte.
    An der Kreuzung St. Mark’s Place und Second Avenue lag ein gewaltiges Grundstück, auf dem sich ein imposantes Haus fünf Stockwerke über die Straße erhob. Die Häuser ringsum waren alle in A und B unterteilt, um der wachsenden Zahl an Händlern Herr zu werden, die dort ihre Läden eröffnen wollten. Dieses Haus aber mit seinen blutroten Ziegeln und den weißen Marmorgesimsen gehörte nur einer Person, Alice Keteltas.
    Das Eigentümliche an diesem Haus und seinem Garten waren die zahlreichen Schilder, die Miss Keteltas auf dem Rasen aufgestellt hatte, um ungebetene Gäste fernzuhalten.
    Vorsicht, ich bin weder tot, noch ist dieses Haus zu verkaufen. Alice Keteltas.
    Kein Empfang für unangemeldete Besucher (mildtätige Kleriker inbegriffen). Alice Keteltas.
    Schaulustige werden mit Stock und Argwohn empfangen. Alice Keteltas.
    Die Pfauen bitte nicht füttern. Alice Keteltas.
    Die Pfauen waren längst fort, das hohe Eisengitter mit seinen schwarzen Metallspitzen hingegen, das die Tiere an der Flucht hindern sollte, zog sich immer noch rings um den Garten. Nun richtete es seine Bajonette gegen alle anderen, die ihre Triebe gemeinhin kaum beherrschen – Aufrührer, Lausbuben und Hunde.
    Ich ließ im Vorübergehen jedes Mal die Hand an den Stäben entlangfahren, bis sie metallisch summten. Fasste ich einen der Stäbe an, während er noch sang, kitzelte das so schön an den Lippen, so als würde man auf einem Kamm oder einem Grashalm blasen. Dabei stellte ich mir vor, dass ich nicht nur das Gitter, sondern auch das ganze Haus in Schwingung versetzte, und Miss Keteltas an ihrem Esstisch oder in ihrem Bett von köstlichem Gelächter befallen wurde, ohne den Grund dafür zu kennen.
    An der Rückseite des Hauses fehlte dem Gitter ein Stab. Ich hätte mich durch diese Lücke vermutlich hindurchzwängen können. Ich bin ihr also willkommen , hatte ich mir gesagt, als ich den Durchlass entdeckte. Das ist ein Zeichen.
    Mama sprach zu den Frauen, die sie aufsuchten und ihre Zukunft wissen wollten, immer von Zeichen. Ich lauerte hinter den Vorhängen, wenn sie mit einer Frau, die
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