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Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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Märchen gehört, in seiner beeindruckenden Bibliothek saß und das Gespräch über Gott und die Welt irgendwie auf Drachen gelangt war.
    »Wir verstehen uns richtig?«, setzte ich noch einmal an, während ich mein Weinglas wieder absetzte, ohne einen Schluck getrunken zu haben. Das schien mir jetzt doch zu riskant. »Wenn wir von Drachen reden, meinen wir nicht die, die kleine Jungs im Herbst in den Himmel steigen lassen, sondern die anderen? Die Jungfrauen entführen und denen sieben Köpfe nachwachsen, wenn man ihnen einen abschlägt?«
    »Was für Eigenschaften sie tatsächlich haben, kann ich Ihnen auch nicht sagen. Aber es muss doch etwas bedeuten, dass Sie zu allen Zeiten und bei jedem Volk auf diesem Planeten Legenden über Drachen finden und dass sich alle Beschreibungen ähneln.«
    »Mit anderen Worten, in Loch Ness haust wirklich ein Drache.«
    »Wer weiß. Vielleicht war es sogar ein Drache, der die ganzen Schiffe im Bermudadreieck hat spurlos verschwinden lassen Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Das werden wir niemals erfahren.«
    »Weil niemand dabei war«, nickte ich. »Weil es zwar massenhaft Legenden gibt, aber keine Fotos.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich würde mich wirklich besser fühlen mit ein paar Fotos. Oder mit einem anderen Beweis.«
    »Vielleicht hat es einen Grund, warum keine Fotos existieren. Es heißt ja, Drachen seien magische Lebewesen.« Er hob die Hand, als befürchte er einen Aufschrei der Entrüstung; übrigens zu Recht. »Was immer das im Lichte unserer naturwissenschaftlichen Weltsichtbedeuten mag, wohlgemerkt. Vielleicht findet eines Tages jemand, dass die psychologische Deutung von Magie nicht die einzig mögliche ist.«
    »Ich fürchte, auch dafür wird er irgendwelche Beweise haben wollen«, beharrte ich.
    Mein Gegenüber nickte verständnisvoll und erhob sich aus seinem wunderbaren alten ledernen Ohrensessel – um den ich ihn inbrünstig beneide, anbei bemerkt. Er ging die Regale seiner Memorabilien ab und blieb vor einem Stück Marmor stehen, das eiförmig und so lang wie ein Unterarm war und von einer darüber hängenden Rotlichtlampe angestrahlt wurde, deren Licht die feinen, archaischen Kratzmuster darauf zur Geltung brachte. Jetzt erst fiel mir auf, dass dahinter eine gerahmte Karte an der Wand hing, und als er sie abnahm und vor mir auf den Tisch legte, sah ich, dass es eine uralte Karte von Afghanistan war.
    Mittlerweile hat man die Umrisse dieses Landes, weiß der Himmel, oft genug in der Tagesschau gesehen. Mich erinnert es immer an ein breitgeklopftes paniertes Schnitzel aus der Dorfgaststätte, mit einem knubbeligen schmalen Fortsatz am rechten oberen Eck. Auf genau dieses Anhängsel legte er den Finger und erklärte: »Der Hindukusch. Eine achthundert Kilometer lange Hochgebirgsregion, dem Pamir-Gebirge und der Himalaya-Hochebene vorgelagert, Wasserscheide zwischen dem Amu Darya Tal und dem Einzugsgebiet des Indus, und im Altertum ein militärisch höchst bedeutsames Hindernis auf dem Weg nach Indien.«
    »Ah ja«, machte ich mit dem schlechten Gewissen, das mich in solchen Momenten immer befällt, weil ich dann merke, wie wenig ich in Geografie und Geschichte bewandert bin.
    »Wussten Sie eigentlich«, fuhr er mit feinem Schmunzeln fort, »dass der Hindukusch niemals erobert wurde, seit es Afghanistan gibt? Die Russen haben sich die Zähne an diesem Gebiet ausgebissen, und die Taliban haben es erst gar nicht versucht. Und als die Amerikaner hinkamen …« Er zögerte einen Moment, aber doch lange genug, dass ich merkte, wie er sich überwinden musste. »Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die ich aus den Gründen, die ichvorhin genannt habe, nicht selber schreiben kann. Aber Sie könnten es. Sie könnten mir Ihre Stimme leihen und es klingen lassen wie etwas Ausgedachtes.«
    Natürlich war ich neugierig. Natürlich konnte ich nicht widerstehen. Natürlich sagte ich: »Einverstanden.«
     
    »Indscha chub nist« , sagt Ahmad Wahil, und das heißt, dass es hier nicht gehen wird. Er erhebt sich von der Stelle, an der er gekniet und das Eis abgehorcht hat, das den Fluss wie kalte weiße Lava bedeckt. Die Karawane aus Kamelen und Packpferden wartet geduldig. Es ist erbarmungslos kalt, doch die panzerdicke Eisschicht hat Risse, durch die man das tückisch gurgelnde Wasser hören kann, das darunter lauert. Hier ist kein Fehler erlaubt. Einbrechen bedeutet den sofortigen Tod.
    Drei Wochen zuvor sind Pascal, ein Fotograf aus Frankreich,
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