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Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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nicht. Sie machen den Fehler, zu schießen.
    Man sieht das Mündungsfeuer, noch ehe man die Schüsse hört, und die Reaktion des Drachen auch. Ein greller Feuerschwall, hell wie der Triebwerksstrahl einer startenden Rakete, schießt aus seinem Maul auf die drei Hubschrauber zu und hüllt sie ein. Eine der Maschinen explodiert sofort, die zweite mit Verzögerung, die dritte kann noch aus dem Inferno entkommen, um auf dem Boden der Schlucht zu zerschellen und in Flammen aufzugehen. Der Donner der Explosionen rollt über uns hinweg und macht die Lasttiere nervös, aber das ist nichts gegen den Schrei, den der Drache ausstößt, als er sich in einem unglaublichen Flugmanöver in den Himmel hinaufschwingt, um sich, gerade als die Strahlen der untergehenden Sonne seinen schlanken Leib goldschimmernd aufleuchten lassen, herumzuwerfen und noch einmal dicht über uns hinwegzufliegen, als müsse das so sein zum Abschluss einer solchen Aktion.
    Ich schaue mit weit aufgerissenen Augen, während ich spüre, wie sich in meinem Hinterkopf der erste Widerspruch bildet, eine Stimme, die gleich behaupten wird, dass nicht sein kann, was ich sehe, dass ein solches Tier physikalisch unmöglich ist, dass Drachen mythologische Wesen sind, Märchengestalten, die in Legenden vorkommen, aber nicht in den Tagesthemen. Ich zögere den inneren Disput hinaus, gehe sozusagen nicht ans Telefon, weil ich schauen muss, weil ich diesen Anblick aufnehmen und in meiner Erinnerung bewahren will, wenn schon kein Gerät zur Hand ist, das dazu im Stande wäre.
    Der Drache ist riesig. Im Flug wirkt er wie ein amerikanischer B52 -Bomber, der sich im Kunstflug versucht, nur dass er wesentlich kleinere, fledermausähnliche Flügel hat und dass sein Leib sich windet und schlängelt wie eine angreifende Anakonda. Auch von militärüblichen Tarnfarben hält er nichts, sein Körper schimmert teils golden, teils silbern. Zwei gewaltige Pranken entdecke ich, die elegant nach hinten gerichtet sind und, wie es den Anschein macht, zusammen mit dem elastischen Schweif für Flugstabilität sorgen.
    Dieses gewaltige Tier rast auf uns zu. Mir stockt der Atem. Ein fliegender Blauwal könnte nicht beeindruckender sein. Der Kopf des Drachen ist eine bizarre Fratze aus Knochenwülsten und dunklen Vertiefungen; auf einmal begreife ich, warum die Chinesen Drachen so darstellen, wie sie es tun. Nur die Augen sind kleiner und außerdem seitlich angesetzt, oder zumindest kommen sie einem klein vor gegen das scheunentorgroße Maul. Ich ducke mich, als der Drache uns überfliegt; diesmal bin ich gewappnet und bleibe stehen. Es riecht verbrannt, beinahe wie die Abgase eines warmlaufenden Düsentriebwerks. Dann ist das unglaubliche Wesen vorbei, schraubt sich mit einem letzten, gellenden Schrei in die Höhe und verschwindet hinter dem Bergkamm. Abgesehen von den brennenden Wracks der Hubschrauber ist alles wieder wie vorher.
    Die Männer jubeln, schreien durcheinander. Ahmad Wahil kennt sogar das englische Wort. »Dragon« , ruft er mir zu und lacht über das ganze Gesicht, das mich immer an ein Bild Dschingis-Khans denken lässt, das ich einmal gesehen habe. Sie sind überzeugt, dass uns nunnichts mehr zustoßen wird und dass wir unser Ziel, die Grenze nach Kashmir, ohne weitere Zwischenfälle erreichen werden. Die Begegnung mit einem Drachen gilt als glückverheißend.
     
    »Und weiter?«, fragte ich, als die dramatische Pause anfing, sich ein wenig zu lange hinzuziehen.
    Er hob die Schultern. »Nichts weiter. Das war es. Wir entkamen über Pakistan, kehrten nach Hause zurück, schrieben unseren Artikel und erregten damit bei weitem nicht so viel Aufsehen, wie wir erhofft hatten.«
    »Und der Drache?«
    »Eine Erinnerung. Wieder mal keine Fotos. Obwohl keine Magie im Spiel war, zumindest vordergründig betrachtet.« Er lächelte. »Pascal hat es nie verwunden, seine Kamera in jenem Moment nicht schussbereit gehabt zu haben. Er hat immer auf eine Gelegenheit gewartet, zurückzugehen. Während des Afghanistanfeldzugs der Amerikaner, kurz vor dem Sturz der Taliban und noch während die Nordallianz vorrückte, ist er mit CNN-Reportern hineingekommen. Er hatte vor, sich in den Norden Afghanistans abzusetzen und eine zweite Expedition über die Seidenstraße zu unternehmen.«
    »So, wie Sie das formulieren, ist daraus nichts geworden.«
    »Das Gebiet, in das er wollte – der östliche Hindukusch, die Wakhan-Region –, war plötzlich Sperrgebiet. Von Gewährsleuten erfuhr er, dass die
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